Bei meinem ersten Besuch in Gurske waren Antje (Marianne) Otte und Herr Kalinowsky als Dolmetscher dabei. Nachdem wir Kirche und Friedhof angeschaut hatten, auch auf dem Hof der Kämpe waren und ein paar Fotos geschossen hatten, den breiten Fluß der Weichsel lange betrachtet hatten, gingen wir zur Dorfstraße zurück und wurden, als seien wir erwartet worden, von einem Polen namens Jan Jezak vor seinem Häuschen empfangen.
Gern kam er mit uns ins Gespräch, bat uns näher zu kommen. Herr Kalinowsky erklärte, übersetzte. Sofort wurde uns der Garten gezeigt; die Hausfrau erschien, nötigte uns freundlich herein. Wir spürten eine ehrliche Gastfreundschaft und meine anfängliche Zurückhaltung und Skepsis flog bald dahin, als Frau Jezak uns zum Essen einlud, aus ihren Kellervorräten ihre besten Speisen heraufbrachte. Eingemachtes Gemüse, Leberwurst und frisches Brot wurden aufgetischt. All unsere Argumente, doch weiter fahren zu wollen, wurden zerstreut. Bald wurde von früher erzählt, übersetzt, gelacht, obwohl ich nicht alles verstand.
Herr Jezak war ein humorvoller Mann. Er erinnerte sich sofort an meinen "Opa Knodel": "Ach, der mit der Zipfelmütze!" Opas Pferde fanden den Weg immer nach Hause, auch wenn er auf dem Wagen eingeschlafen war. Er hatte noch genau ein paar lustige Geschichten von früher im Kopf, wie auch folgende:
Mein Vater kam mit dem Fahrrad in Gurske angefahren, um beim Opa Knodel um die Hand meiner Mutter anzuhalten. Sie war die Jüngste und sollte den Hof erben. Opa willigte ein. Mein Vater aber wollte gleichzeitig den Hof überschrieben haben. Großvater gab die Tochter, aber den Hof wollte er nicht sogleich abgeben: "Nein". Mein Vater machte kehrt und radelte von dannen. Opa überlegte noch ein Weilchen, fuhr mit seinem Wagen hinterher und rief: "Oskar, du bekommst den Hof!"
Man kann es sich vorstellen, dass diese Begebenheit zum Dorfgespräch wurde. Nach mehr als 50 Jahren war das Jan Jezak noch in Erinnerung. Wie peinlich muss das meiner Mutter gewesen sein! Sie blieb zeitlebens bei der Annahme, nicht aus Liebe geheiratet worden zu sein.
Weitere Geschichten sollten von Jezak folgen. Für die anderen zum Lachen, für mich zum Teil peinlich:
Bei einem Angriff hätte er zusammen mit meinem Vater im Schützengraben gelegen, als die Tiefflieger über ihnen kreisten. Mein Vater hätte da außerordentliche Angst gehabt. Das hat ihn sehr amüsiert.
Mein Bruder Lothar war ihm auch in Erinnerung. Er fragte: "Warum ist Bubi nicht mitgekommen?"
Wieder und wieder wurden wir gebeten, doch über Nacht zu bleiben. Ihr Schlafzimmer wurde uns wie selbstverständlich sofort angeboten.
Kalinowsky übersetzte: Alle Gurske-Besucher, die sich mit deutschem Fahrzeug der Kirche näherten, wurden von Jezak empfangen. Er war stets kontaktfreudig und hilfsbereit, knüpfte dadurch Beziehungen zu Deutschland und leistete durch sein Wagnis mit seiner Gastfreundschaft einen wichtigen Beitrag zur Verständigung zwischen Deutschen und Polen nach einer grausamen Epoche. Wenn jemand eine Ehrenauszeichnung für Völkerverständigung bekommen sollte, dann könnte sie an ihn gehen.
Später in Kiel erzählte mir Vater, dass Mutter 2 Fehlgeburten hatte. Weder Lothar noch ich wissen, wann diese gewesen sind. In der nationalsozialistischen Zeit war es erwünscht, 4 Kinder zu haben! Hat Mutter zu schwer gearbeitet? Vater sagte mir, Mutter sei wohl unachtsam gewesen. Oft frage ich mich: Wie hat wohl das Leben meiner Eltern vor meiner Geburt ausgesehen? Bestimmt war es hart, arbeitsreich, angstvoll. Politisch immer ungeklärt und gespannt! Kam man wohl gut aus mit den polnischen Landarbeitern?
Nach unserer Vertreibung hatte Jezak in der Mühle in Gurske gearbeitet.
Z. Zt. des Besuchs besaß er gegenüber der früheren Gaststätte Ross das kleine Haus (früher Jabs). Die erwachsenen 2 Kinder, Sohn und Tochter, sind in Thorn verheiratet. Jan und Wanda Jezak sind inzwischen gestorben. Ihr schönes Grab ist gleich links auf dem Weg zum Eingang zur Kirche zu finden.
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