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Das Leben meiner Eltern in der Thorner Niederung  


Auszüge aus der Biographiearbeit von

Renate Tetzlaff, geb. Hagen





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Das Leben meiner Eltern in der Thorner Niederung
auf der Kämpe in Gurske, Krs. Thorn/Westpreußen

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.

Mein Vater hatte 1923 seine Lehrer-Ausbildung abgeschlossen und unterrichtete 1923 an der Schule in Alt-Briesen (s. Foto).

Als Westpreußen nach verlorenem 1. Weltkrieg nach dem Versailler Vertrag am 28.6.1919 an Polen "unter polnische Verwaltung" fiel, durfte die Lehrertätigkeit nach 1923 nicht mehr ausgeübt werden.

Entweder musste man ins "Reich" Deutschland emigrieren, so wie Mutters Onkel Heinrich Wedel nach Dramburg/Pommern, oder man konnte z.B. Landwirt in seiner Heimat sein. Vater heiratete nach Verlobung am 21.08.1927 (Datum in Eheringen), am 28.05.1929 bei meiner Mutter in ihren elterlichen Hof ein.

Der Hof (Kämpe genannt), 58,00 ha, wurde noch am Hochzeitstag auf hartnäckiges Drängen meines Vaters überschrieben. Die Großeltern zogen auf einen Landbesitz in Gurske vor dem Deich links der Straße. Dieses Land verkauften sie später an die Gärtnerei Hentschel und zogen nach Thom in die Mellinstraße (nach dem Bürgermeister benannt) als Rentiers.

Mutter erzählte mir, dass Vater einmal vor der Hochzeit unverhofft zu Besuch kam, als sie beim Schuheputzen war. Sie umarmte ihn zur Begrüßung, er aber wies sie schroff zurück! Das hatte sie ihm wohl nie verzeihen können.

Mutters Halbschwester Frieda Knodel, verheiratet mit Helmut Marohn, hatte einen Hof in Gurske, rechts hinter der Gaststätte Ross. Mutters Schwester Margarethe hatte am 14.03.1927 Onkel Helmut Marohns Halbbruder Ernst Marohn geheiratet. So hatten 2 Halbschwestem 2 Halbbrüder geheiratet. Auch sie bewirtschafteten eine Zeitlang in Gurske einen Hof. Natürlich forderten Mutters Geschwister ihren Erbteil von meinen Eltern. Das mußte erst erwirtschaftet werden. Mein Vater lehnte eine Auszahlung ab. Das brachte Zwiespalt und Distanz hervor. Mit Mutters Halbschwester Hertha in Berlin fand nie wieder Versöhnung statt, während nach der Vertreibung wieder zu den anderen Geschwistern Kontakt hergestellt wurde und viele schöne Feiern im gemeinsamen Kreis zustande kamen.

Am 10.11.1930 wurde mein Bruder Lothar als erster Sohn in Gurske auf der Kämpe geboren. Es ist ebenso der Geburtstag von Martin Luther und Friedrich von Schiller.

Im Winter gab es im Osten immer viel Schnee und harte Kälte. Oftmals war die Weichsel zugefroren. Wenn wir Vaters Eltern in Palsch besuchen wollten, wurden die Pferde vor den Schlitten gespannt. Dann zog Mutter ihren warmen Pelzmantel an und die Hände steckten wir in einen Muff. Auch Erna und Waldi Schmidt in Groß-Bösendorf besuchten wir per Schlitten. (Zühlkes, Verwandte von Vaters Mutterseite, wohnten in Klein-Bösendorf).

Im Frühjahr trat nun das Hochwasser ein und überschwemmte unser Land. Manchmal kam es bis an die Haustreppe heran. Mutti hatte Angst "vor dem Wasser". Oftmals konnte der Boden dadurch erst spät bestellt werden.

Wieder einmal gab es Hochwasser. Im Winter hatten wir mehrere Schweine geschlachtet. Die Räucherkammer befand sich auf dem Boden der "Kämpe". Da hingen Würste und Schinken und das Fett tropfte herunter, die Sägespäne entflammten. Wegen des Hochwassers wohnten meine Eltern und Lothar dann in der Küche und z.T. im höhergelegenen Hühnerstall. Zu der Zeit wohnten Oma und Opa auf dem Henschel'schen Grundstück vor dem Deich. (Bei Hochwasser ist die Familie manchmal kurzfristig zu Oma und Opa gezogen). Der Dachstuhl brannte!!! Wegen des Hochwassers konnte die Feuerwehr nicht ans Haus gelangen. Lothar wurde schnell aus dem Haus getragen und ihm wurde ein Lager zwischen den Betten der Knechte und Mägde im Stall hergerichtet. Vater stand vor einer Ruine! Das war im Jahre 1936. Hernach bekam das Haus ein neues Dach. Das Obergeschoß wurde ausgebaut. Auch ein Fremdenzimmer wurde eingerichtet.

Später in Kiel erzählte mir Vater, dass Mutter 2 Fehlgeburten hatte. Weder Lothar noch ich wissen, wann diese gewesen sind. In der nationalsozialistischen Zeit war es erwünscht, 4 Kinder zu haben! Hat Mutter zu schwer gearbeitet? Vater sagte mir, Mutter sei wohl unachtsam gewesen. Oft frage ich mich: Wie hat wohl das Leben meiner Eltern vor meiner Geburt ausgesehen? Bestimmt war es hart, arbeitsreich, angstvoll. Politisch immer ungeklärt und gespannt! Kam man wohl gut aus mit den polnischen Landarbeitern?

"Wo die polnische, Administration es für richtig hielt, gegen deutsches Bodeneigentum vorzugehen, boten die Annullations-, Staatsbürger- und Agrarreformgesetzgebung eine von außen durch den Völkerbundsrat unanfechtbare Handhabe. Verfassungskonform, ja selbst mit den Minderheitenschutzklauseln des Versailler Vertrages vereinbar war die Gesetzgebung. In der administrativen Durchführung jedoch ließ sie sich als Austreibungsmittel gegen den "Feind im Haus" anwenden."

"Damit wurde die Umgebung der Thorner Niederung und mit ihr unsere beiden Dörfer vom polnischen Volkstum, meist von "Kongressowski 's" - wie die Westpolen sie nannten - immer stärker durchsetzt. Ende der 20er Jahre übernahmen 2 Polen, Bonowicz auf dem Hedberg und Cieminski in der Nähe des Kirchweges in Gurske, die ersten Höfe. Es war damit durch Unterstützung der Verwaltung erstmalig gelungen, in ein deutsches Niederungsdorf einzubrechen. Dies blieb aber ein einmaliger Vorgang, der die Widerstandskräfte der deutschen Bauern weckte. "(Quelle: Festschrift zur 750-Jahr-Feier der Stadt Thorn).

Dieses sollte für uns später eine besondere Bedeutung haben!

Gurske war schon seit Gründung durch den Deutschen Orden ein deutsches Bauerndorf gewesen, 10 km von Thorn gelegen.

Es gab in Thorn deutsche Clubs, Theater und Kinos. Mutter fuhr regelmäßig mit Pferd und Wagen nach Thorn zum Markt am Rathaus, um selbst geerntetes Gemüse, Rhabarber, Eier, Butter und Blumen zu verkaufen. Somit hatte sie soziale Kontakte zur Stadt, wo dann mal ein Kinobesuch mit meiner Cousine Ursel gern genossen wurde.


 
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© 2000   Volker J. Krueger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 31.07.2004