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Horst Ernst Krüger:


Die Geschichte einer ganz normalen
Familie aus Altthorn in Westpreussen


kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger


Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text

Im Wirtschaftswunderland

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang in der Originalausgabe, die dem Herausgeber vorliegt.

Hinter dem eröffnen sich genealogische Zusammenhänge in Bezug auf die betreffende Person.

Falls Sie sich den Originaltext, um den es an der so bezeichneten Stelle geht, ansehen wollen, so werden Sie hier fündig.

Mit diesem Zeichen weist der Herausgeber dieses Dokuments auf Bemerkenswertes hin und

mit diesem Zeichen macht er auf Fragen aufmerksam, die sich ihm zu dem jeweiligen Text gestellt haben.

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Und falls Sie mehr über die soKurzbiographie gekennzeichnete Person erfahren wollen, finden Sie hier eine Kurzbiographie.

[348] Ludwig Erhard hatte seine Soziale Marktwirtschaft durchgesetzt. An die Stelle der Bezugsscheine war die freie Kaufentscheidung des Bürgers getreten. Alle Unternehmungen der Wirtschaft produzierten wieder für den Markt und nicht für einen von der Bürokratie vorgegebenen volkswirtschaftlichen Plan. Derjenige, der seine Produkte zum günstigsten Preis anbot, machte die Geschäfte. So zahlten sich Leistung und Rationalität aus. Die wieder eingeführte Wettbewerbswirtschaft belohnte auf diese Weise durch Umsatz und Gewinn. Erhards mutiger Schritt auf dem Weg ins wirtschaftliche Neuland führte bei unserer Großfamilie zur unerwarteten Steigerung ihres Lebensstandards und zu einer bescheidenen Vermögensbildung.

Werner und Hans-Joachim bekamen soviel Schlepper, Mähdrescher und Landmaschinen geliefert, wie sie absetzen konnten. Die Landwirtschaft ihres Geschäftsbereiches war mit veralteten Gespanngeräten ausgerüstet, die zu nichts anderem mehr taugten, als auf dem Schrottplatz hinter der Scheune zu landen, wo sie langsam vom Unkraut überwuchert wurden. Der Markt für moderne Landtechnik war fast unbegrenzt. Da Erhard auch die Bezugsscheine für Nahrungsmittel einstampfen gelassen hatte, richteten sich ihre Preise nach Angebot und Nachfrage. So bekam auch der Bauer mehr Geld in die Kasse. Er legte es zur Modernisierung seines Betriebes an. Industrie, Gewerbe und Handel hatten rasch steigende Produktions- und Umsatzziffern. Meine Brüder nutzten die gegebenen Möglichkeiten zum Wachtum ihres Unternehmens.

Ludwig Erhards Programm erschöpfte sich nicht in der Wiedereinsetzung des ungezügelten, kapitalistischen Systems. Er verband seine Wirtschaftspolitik mit einer Gesellschaftspolitik, in deren Mittelpunkt die Freiheit, die Würde und die Entfaltung des Menschen standen. Wer frei sein will, muß sich dem Wettbewerb unterwerfen. Das schließt die Zusammenballung von marktbeherrschender Wirtschaftskraft in der Hand von Einzelpersonen und Kapitalgesellschaften aus.

[349] Die Gesellschaft sollte sich in überschaubaren, bürgernahen und deshalb für den einzelnen begreifbaren Verantwortlichkeiten entwickeln. Deswegen trieb Erhard in Übereinstimmung mit dem Programm der CDU eine Politik der Selbstverwaltung der Gemeinden, der Wirtschaft, der Sozialversicherung, der breiten Eigentumsstreuung, der Mitbestimmung, des sozialen Wohnungsbaues, der Förderung des Eigenheimes, der Lastenausgleichsgesetzgebung, der Monopolkontrolle, des Grundrechtsschutzes.

Diese Politik lenkte Wasser auf unsere Mühlen. Wir drei Brüder und meine Schwester Edith hatten mit ihrer Hilfe wieder Grund und Boden unter die Füße bekommen, auf dem ansehnliche Häuser standen, Kartoffeln, Gemüse und Obstbäume wuchsen. Mit uns wurden Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen in die Gesellschaft wieder eingegliedert. Nur meine Schwester Ursula, die zwar einen sicheren Arbeitsplatz hatte, wohnte immer noch bei Edith zur Miete. Sie empfand das als einer geborenen Krüger unwürdig und wollte ebenso wie ihre vier Geschwister im eigenen Haus leben.

Einen Anspruch auf Leistungen aus dem Lastenausgleich hatte Ursula nicht, denn ihr Schwiegervater hatte Joachim nicht zum Erben von Bendomin eingesetzt. Wenn überhaupt, sagte er, würden ihre Söhne zu Miterben des Familiengutes der Dahlweids eingesetzt werden. Ursula schrieb mir daraufhin einen Brief. Sie habe viele Jahre im Elternhaus ohne angemessene Entlohnung gearbeitet, es sei ungerecht, wenn mir der gesamte Lastenausgleich unseres Hofes in Altthorn zufallen würde. Es wurde ein Familienrat im Hause von Hans-Joachim und Ursula in Goddelau einberufen. Meine Mutter war anwesend, hielt sich aber zunächst mit ihrer Meinung zurück.

Ursula legte ihre Ansprüche dar und begründete sie ebenso, wie sie es in ihrem Schreiben an mich getan hatte. Neue Argumente brachte sie nicht ins Spiel. Als im Verlauf der Beratungen Hans-Joachim die Rechtmäßigkeit des Testamentes meines Vaters anzweifelte, was darauf hinauslief, mich [350] nachträglich zu enterben, drohte der Konflikt außer Kontrolle zu geraten. Es war wieder meine Mutter, die, wie schon so oft, die hochgehenden Wogen glättete. Sie sprach ruhig, versöhnlich, besänftigend, in der ihr eigenen westpreußischen Mundart. Jedes Wort war von mütterlicher Liebe erfüllt. Sie sei bei der Testamentseröffnung zugegen gewesen, und alles habe seine Ordnung gehabt. Papa habe mich als Alleinerben eingesetzt, ihren Nießbrauch bis zu meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr und die Abfindung der fünf Kinder geregelt. Das Gespräch zwischen uns Geschwistern wurde darauf ruhiger und sachlicher. Edith machte schließlich den Vorschlag, Ursula solle beim zuständigen Lastenausgleichsamt Anspruch aufgrund nicht ausbezahlter, testamentarisch verfügter, finanzieller Erbansprüche geltend machen. Sie wurden später vom Lastenausgleichsamt anerkannt, und meine Schwester konnte ihren Hausbau anteilig mit unserem Lastenausgleichsanspruch für Altthorn finanzieren.

Als das Haus fertig war und wir die übliche Einweihung im Familienkreis feierten, stellten wir fest, daß es größer und komfortabler war als die Häuser ihrer Geschwister. Die Großfamilie hatte eine angemessene Lösung für einen Konflikt gefunden, der ihren immer noch sehr engen Zusammenhalt bedroht hatte. In das neue Haus zogen Ursula mit Rüdiger und Horst und auch meine Mutter ein. Sie hatte sich in Stubben nach der Flucht so gut eingelebt, daß sie auch keine zehn Pferde länger in Hannover gehalten hätten.


 
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letzte Aktualisierung: 30.07.2004