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August Bartz: der unbekannte Leutnant  


Rathausturm mit Copernicusdenkmal

August Bartz:


[Abschrift der an zwei drei kurzen Stellen überschriebenen und damit dort nur unsicher entzifferbaren Kopie aus dem Familienarchiv. Die Hagener Zeitung, in der dieser Artikel erschienen sein soll, liegt mikroverfilmt in der Stadtbibliothek Dortmund vor! Unbekannt ist aber Erscheinungsjahr und -tag (zwischen 29.07.1934 und 01.01.1939!). Wohlmeinende Warnung des Bibliothekars: Die Sucharbeit allein schon in einem Jahrgang wäre eine immense, da es keine Inhaltsverzeichnisse gibt. Zudem entspricht das Format der mir vorliegenden Kopie meiner Meinung nach nicht dem einer Tageszeitung.]


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Der unbekannte Leutnant

Ein Zeitungsartikel über meinen Großvater

Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23], bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.

Man spricht - und mit vollem Recht - oft ehrend vom "unbekannten Soldaten"; ich will heute einmal vom "unbekannten Leutnant" sprechen. Nicht, als ob ich einen Unterschied aufreißen wollte zwischen den beiden Begriffen "Soldat" und "Leutnant". Im Gegenteil, mich hat’s oft sehr gewurmt, wenn ich da draußen etwa ein Massengrab sah: "Hier liegen soundsoviel tapfere deutsche Helden" und daneben einige Einzelgräber, die je ein Schild trugen mit der Aufschrift: "Hier ruht Leutnant Soundso". Und ich habe mehr als einmal gesagt, wenn ich fallen sollte mit Kameraden meiner Formation, dann wollte ich mit ihnen begraben sein und nicht neben ihnen. Denn Soldat ist Soldat, einerlei, welche Grad- und Rangabzeichen er trägt; und ich habe auch nie zu denen gehört, die da meinten, wenn einer höhere Gradabzeichen trage, dann sei er mehr und habe mehr Rechte als die anderen, sondern mit dem höheren Rang komme die größere Verpflichtung zur Leistung und zur Hergabe aller Kräfte.

Hurraschreier hat es immer gegeben; aber es ist schon sehr wahr, was General der Infanterie a. D. Freiherr von Ledebur in seinem Artikel "Die ersten Eindrücke eines Frontoffiziers" ("Kyffhäuser" Nr. 30 vom 29. Juli 1934) sagt: "Am Abend dieses ersten Kampftages bereits hatte ich Kenntnis von den verblüffenden Qualitäten einiger Kämpfer, die sich als das Gegenteil ihres Auftretens als Friedenssoldat erwiesen hatten, und zwar in beiden Richtungen. Hier der bescheidene, unscheinbar, vielleicht auch linkisch zur Seite stehende Mann stiller Pflichterfüllung - und nun ein loderndes Mal von Mannesmut und Kampfeshingabe mit sofortigem Führereinfluß; dort der großschnäutzige, laute Spötter, - ‘vielleicht’- auch materiell Veranlagte und nun ein ganz kleiner Maulheld ohne Führerkraft, aber mit sehr starkem Selbsterhaltungstrieb."

Man wird eben nicht Führer dadurch, daß man die Achselstücke oder sonst ein Rangabzeichen verliehen bekommt; man ist Führer oder ist es nicht. Nur man muß die Gelegenheit haben, sich als Führer erweisen zu können, und die findet sich nicht da, wo es aufs Reden ankommt, sondern da, wo Taten gefordert werden - und wäre es nur die eine große, schwere Tat, stillzuhalten und auszuhalten, den sicheren Tod vor Augen.

Als der Krieg zu Ende war, da gehörte es bei vielen, allzuvielen, zum täglichen Brauch, so zu reden, als ob alle Achselstückträger des deutschen Heeres im Weltkriege nichts als Lumpen gewesen seien. Viel bitteres Unrecht ist geredet, viel nie wieder gutzumachendes Unrecht ist dadurch verursacht worden. Gewiß, bei der großen Menge von Offizieren war mancher, der die Achselstücke und seine verantwortungsvolle, schwere Pflichten auferlegende Vorrangstellung zu Unrecht innehatte. Aber nicht diese Ausnahmen sollten den Maßstab gebildet haben, sondern die anderen - und es ist mir immer ein gewisser Trost gewesen, daß sehr selten nur ein alter Soldat zugab, selbst "schlechte" Offiziere gehabt zu haben; meist nur vom Hörensagen wußte man die unmöglichsten Dinge zu berichten!

Immer habe ich solchen Kritikern und Nörglern aus der großen Zahl vorbildlicher Frontoffiziere vor allen anderen einen genannt und geschildert: Joachim Krüger, Leutnant der Landwehr und Führer des Lichtmeßtrupps 83, meinen letzten Truppenführer, dessen Formation ich die letzten Monate führte und nach Deutschland zurückbrachte, während er im Lazarett lag. -

Dies war so ziemlich das Erste, was ich (damals Vize) an meine Mutter über Joachim Krüger nach Hause geschrieben habe, nachdem wir Anfang 1917 frisch im Westen (bei Reims) eingesetzt waren, wo wir für unsere Arbeit ein denkbar ungünstiges Gelände fanden: "Heute hatten wir Besuch. Ein Oberstleutnant wollte uns anscheinend anhauchen, weil wir noch "nichts geschafft" hätten. Aber bereits sein erstes "Donnerwetter noch’ n mal!" verschluckte er halbwegs, als er sah, was bei uns wirklich los war, räusperte sich und zog bald befriedigt von dannen. Na, es wäre ja auch noch schöner: 83 und nichts geschafft! Wenn’s in d e m Tempo weitergeht, ist der Leutnant binnen Wochen g. v. (d.h. garnisonsverwendungsfähig, also krank), und das wäre doch schade!"

Und ein ganzes Buch könnte ich von diesem Manne schreiben, das immer wieder zeigen würde, wie er der echte, rechte Führer war, nicht, weil er die Achselstücke trug, sondern weil er sie verdient hatte, wie kaum einer. Er war der geborene Offizier im wahrsten Sinne des Wortes, wenn Offizier (von dem lateinischen Worte "officium" abgeleitet) jemanden bezeichnet, der ein "Amt", eine Verpflichtung gegen die Allgemeinheit, gegen Volk und Vaterland, hat. So vollzog er seinen Dienst (nach meinem Brief vom 10.11.1917): "Tag und Nacht der anstrengendste Dienst, ohne zum Schlafen zu kommen. Bei Tage Schießen und Schießleitung überwachen, die dringendsten wirtschaftlichen Angelegenheiten (ihm unterstanden 120 Menschen und ich weiß nicht mehr, wieviele Pferde, die allesamt zu essen haben und verpflegt und untergebracht sein wollten!) erledigen, dazu fremden Offizieren Vortrag halten und sie belehren über wichtige artilleristische Neuerungen; nachts die Erkundung feindlicher feuernder Batterien leiten, den Vorgesetzten jederzeit zur Auskunft zur Verfügung stehen; mindestens 6 Dinge zur selben Zeit tun, Zehnerlei mit einem Atemzuge anordnen, klären, befehlen, regeln. Wenn schon einige Stunden Schlaf gestohlen werden, dann mit dem Telephonhörer am Ohr!"

In einem Brief vom 13.6.1917 schrieb ich: "Für meinen Führer ist mir manchmal bange. Der arbeitet sich noch tot. Ein Pflicht- und Arbeitsmensch durch und durch. Ich hab’s ihm neulich auch gesagt, warum er so oft nach vorn geht, wohin Jüngere gehen können. Denn er ist keiner von den Kräftigsten, und der Weg nach vorn ist was für Nerven und Muskeln. Aber er sah mich nur mit seinem stillen, fast versonnenen Lächeln an und sagte: "Unter unsern (Artilleristen?) sind welche, die gar nicht hierher gehörten - soll ich mich vor denen schämen?" Und dann nickte er mir zu und ging weiter an seine Arbeit.

Selbstverständlich, daß ein solcher Mann Einsatz aller Kräfte auch von all denen forderte, die etwas leisten konnten. "Drückebergerei" ließ er auf keinen Fall gelten, bei sich nicht und bei anderen nicht. Nicht Paradesoldaten wollte er um sich sehen, sondern Soldaten der Tat, wie er selbst einer war. Kein einziges Mal weiß ich, daß er den ihm obliegenden Teil seiner Pflichten einem anderen überlassen hätte, selbst wenn es wieder einmal galt, im Feuerbereich trotz Beschuß, mit ruhiger Hand das Scherenfernrohr einzustellen, schwierige Berechnungen zu machen oder dergleichen (oft sah er abgespannt aus, aber nie gab er nach, immer stellte er sich und alle seine Kraft unter Hochspannung, um das Menschenmögliche zu leisten.

Aus Ehrgeiz? Nein, der Sache wegen, wenn Deutschland eine "Sache" genannt werden darf. Nicht naßforsch, sondern als Mensch, der Menschen kennt und zu behandeln weiß. Er stellte jeden Mann an den Platz, an dem er das Möglichste leisten konnte. Er nahm Rücksichten, wo immer ein Soldatenführer Rücksicht nehmen verantworten kann. Er wußte auch um die menschlichen Eigenheiten des einzelnen oft viel besser Bescheid, als der Betreffende ahnte. Er hatte auch Zeit für jeden seiner Soldaten.

Da war dieser kleine, polnische Friseur mit dem unaussprechlichen Namen, 18 Jahre alt und Kanonier. Dessen Mutter fragte durch den Lehrer ihres Ortes an, was mit ihrem Jungen sei; er habe schon seit Wochen nicht mehr geschrieben. Joachim Krüger ließ den Przibyll oder ähnlich kommen und fragte ihn, warum er seiner Mutter nicht schreibe. Er wisse nicht, was er groß schreiben solle, war die Antwort des Jungen, der in Wirklichkeit zu faul und zu gleichgültig war. Krüger ließ ihn sich hinsetzen, gab ihm Papier, Bleistift und Umschlag, und der Junge mußte schreiben. Und von da an mußte er sich alle acht Tage melden und unter Aufsicht seines Leutnants an die Mutter einen Brief schreiben.

Ein anderer (Kanonier?), ein Waisenkind, wollte nicht in Urlaub fahren. "Ja, gibt’s denn sowas?" staunte Herr Krüger, und der Soldat erklärte ihm: "Ich habe weder Vater noch Mutter, auch sonst, außer einer Schwester, keine Anverwandten. Die Schwester hat ihren Mann im Felde und sitzt mit drei Kindern daheim - soll ich ihr zur Last fallen?" Was tat da der Leutnant? Er schickte den Soldaten zu sich nach Hause, wo er ein großes Bauerngut hatte, und da verlebte der Mann mehr als einen Urlaub!

Ueberall hatte er seine Augen, und sein praktischer Verstand sah manches, was anderen entgangen wäre. Und was viele "hochstudierte" Offiziere nie begriffen, das begriff sein praktischer Geist gleich klar und rasch. Zwei Zimmerleute sollten für das Lager eine Baracke bauen. Sie hatten sich wohl vorgenommen, möglichst lange "Arbeit zu behalten", jedenfalls zimmerten sie lustig darauf los, bis Joachim Krüger ihnen eine Weile zusah, dann zusprang, dem einen das Werkzeug aus der Hand nahm und ihm zeigte, wie ein Fachmann diese Arbeit tun müsse. Ich hörte nachher zufällig, wie die beiden Leute zueinander meinten: "Dem Krüger kann man kein X für’ n U vormachen!" Und das soll man dem richtigen, echten, wahren Führer ja auch nicht!"

Als ich nach der Rückkehr in die Heimat meinem alten Führer schriftlichen Bericht von der Heimkehr des Trupps unter meiner Führung und dabei allerlei niedergeschlagene Gedanken und Gefühlen Ausdruck gegeben hatte, da antwortete er mir ... : " Auch Sie tragen sich mit der Frage: "Für wen?" - Mein lieber Herr B., für uns, damit wir vor unserm Gewissen rein und frei dastehen. Wir können und wollen mit uns zufrieden sein, und diese Zufriedenheit lasse ich mir von niemandem nehmen. Wir, mein Trupp und ich, wir haben getan, was in Menschenkräften steht." Ueberheblichkeit? Nein, berechtigter Stolz des echten Führers. -

Joachim Krüger wohnt heute wie vordem auf seinem Grund und Boden. Aber die Grenzen sind andere als früher. Er gehört heute Polen. Ich neide ihnen diesen Mann. Wer ihn so kennengelernt hat wie ich, der weiß, warum. Aber für die Allgemeinheit ist er einer von den vielen "unbekannten Leutnants" des Weltkrieges, die ihre Pflicht eisern erfüllten - als Mann und als Soldat - ohne Anspruch auf Lohn und Dank und große Ehren!

August Bartz, Gevelsberg-Vogelsang.
[veröffentlicht nach 29. Juli 1934 und vor 1. September 1939]

weiter: Bartz: ... wann kehrst du, Engel Friede.
 

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© 2000   Volker J. Krueger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 14.02.2007