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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Volker Krüger

Vati

Versuch einer Einführung in Deine Festschrift


"Hans-Joachim"
Festschrift zum 85. Geburtstag von Hans-Joachim Krüger, Altthorn
, S. 2 ff

Dortmund Februar 1998

Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text
[Bei dem hier Angesprochenen handelt es sich um den zweiten Sohn von Joachim August Krüger und Käthe Johanna Huhse, beide Altthorn]

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23], bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.

[2] Für Dich eine Festschrift zu konzipieren, ist nicht ganz leicht. Bei den Vorbereitungen hierzu habe ich Verwandte, Freunde und Weggefährten angeschrieben und mit einem Teil auch telefoniert.

Eine typische Reaktion, die ich erhalten habe, war:

"Ich habe mich mit und bei Deinem Vater immer sehr wohl gefühlt, aber eine herausragende Episode? Nein! Dein Vater war eigentlich meistens sehr still. "

Natürlich gab es auch andere, die davon berichteten, daß Du durchaus über die Stränge schlagen konntest, aber der Grundtenor dieser Jubiläumsschrift war schon festgeschrieben: keine reißerische Aufmachung á la Bildzeitung, mit roten Balkenüberschriften.

Am Anfang der Stoffsammlung stand die Frage: Was hat diesen ruhigen, besonnenen Menschen, meinen Vater, also nun in seinem Leben eigentlich bewegt?

In erster Linie war es sicherlich im weitesten Sinne Deine Familie, und da - ohne Dir Unrecht tun zu wollen oder mich darüber zu beschweren - vor allem Deine Frau, und in zweiter Linie war es Dein Beruf.

Und hier beginnt natürlich die erste große Schwierigkeit für den Redakteur! Obwohl nach diesem ersten Denkansatz nun also feststeht, daß Deine Frau für Dich das Wichtigste in Deinem Leben war und ist und sie deshalb auch das Hauptthema sein müßte, will ich ja heute keine Festschrift über meine Mutter fertigen, sondern eine über Dich. Und diese Trennung durchzuhalten, fällt - wie der aufmerksame Leser immer wieder feststellen wird - bei Eurer gegenseitigen Verbundenheit an vielen Stellen schon sprachlich sehr schwer.

Soviel sei aus Sicht eines Sohnes zu diesem Thema jedoch gesagt: Ich habe in meinem bisherigen Leben kein Ehepaar erlebt - und dies ohne Ausnahme -, daß sich so nahe war und ist, wie Ihr es Euch beide seid.

Meines Erachtens muß dies vor allem daran liegen, daß Ihr beide nie auch nur versucht habt, Euch gegenseitig zu bevormunden oder gar zu beherrschen. Nicht nur, daß ich bisher ca. 50 Jahre bewußter Zeuge dieser Tatsache war und bin, ich habe mit meinen Brüdern auch oft darunter gelitten.

Und hierbei meine ich nicht, daß wir darunter gelitten hätten, daß Du von Mutti immer das etwas größere Stück Fleisch aufgelegt bekamst, oder daß wir nie auch nur die geringste Kritik an Mutti vorbringen durften, ohne Deinen Zorn auf uns herab zu beschwören. Das war alles selbstverständlich für uns.

Nein, worunter wir wirklich litten, waren Eure allzu oft vergeblichen Versuche nach Darmstadt ins Kino zu fahren:

1. Phase: Der Beschluß ins Kino zu fahren wurde gefaßt. (Wie Ihr das bewerkstelligt habt, ist mir heute noch ein Rätsel!)

2. Phase: Wir Jungs freuten uns auf einen Abend mit "sturmfreier Bude".

3. Phase: Ihr zogt Euch fein an und gingt auf die Haustür zu.

Soweit so gut, doch jetzt wird's kompliziert:

4. Phase: Einen von Euch beiden - und das war nicht immer der selbe - beschlich in diesem Stadium regelmäßig die Vermutung, daß der jeweils andere - obwohl dieser eigentlich viel zu müde war - womöglich nur deshalb mit ins Kino fuhr, weil er glaubte, daß er selbst es so gerne wollte.

5. Phase: Sobald der eine von Euch nun - nur um dem anderen zu signalisieren, daß das Ganze für ihn selbst gar nicht so wichtig war und man auch zu Hause bleiben könne, wenn der andere keine Lust habe - Zweifel an dem ganzen Vorhaben äußerte, war der andere schon davon überzeugt, daß der ganze Plan nur aus seiner eigenen vollkommen egoistischen Sichtweise geboren worden war.

Und damit war die unvermeidliche 6. Phase schon eingeläutet: Rückzugsgefecht auf beiden Seiten, trotz aller guten Zureden der total verzweifelten Kinder, die genau das hatten kommen sehen.

Wie oft standen wir drei - meist noch mit anderen Bewohnern unseres ach so gastfreundlichen Hauses - im Flur herum und schlossen Wetten ab, ob Ihr es wohl diesmal schaffen würdet oder nicht.

Ja, in den letzten Jahren, in denen wir zu hause wohnten, zogen wir Euch sogar immer öfters damit auf . Aber das störte Euch überhaupt nicht, manchmal klappte der Versuch ins Kino zu kommen eben, aber sehr viel öfter schlug er - nach dem oben geschilderten Verfahren - eben fehl.

Hauptsache Ihr hattet den anderen nicht zu etwas "gezwungen", was dieser womöglich gar nicht wollte.

Für uns stand immer fest, daß ihr beide wolltet, aber Eure sonst so sichere Sensibilität füreinander stand Euch nach unserem Dafürhalten in diesem speziellen Fall ganz schön im Wege. Oder doch nicht?

Wo wir gerade von Sensibilität sprechen, haben Dich Deine älteren Geschwister früher nicht sogar damit aufgezogen?

Es wurde mir berichtet, daß Du jedesmal, wenn Deine Mutter in die Stadt fuhr, noch lange hinter dem Pferdewagen hergelaufen bist, Dich gar nicht von ihr trennen konntest und immerzu gerufen hast: "Mutti, noch ein Küßchen! Mutti, noch ein Küßchen!"

Doch zurück zu dem, was Dich, lieber Vati, in Deinem Leben bewegt hat und was deshalb hier behandelt werden sollte.

Wie schon erkannt, waren dies Deine Familie und Dein Beruf.

Hinsichtlich der Familie bezog sich dies nicht nur auf Deine Familie im ganz engen Sinne, also Frau und Kinder, sondern auf eine Familie namens "Krüger"!

Und auch hierbei konnte ich ein Phänomen beobachten, von dem mir erst später klar wurde, wie erstaunlich es eigentlich wirklich war: der fanatischste Krügerfan war - wie es bei uns spaßhaft heißt, eine "Angeheiratete" - Deine Frau!

Um klarer zu machen, was Dir (und natürlich auch Mutti!) diese Familie bedeutete zeige ich am besten auf, was Du mit uns so alles angestellt hast.

Bereits als Kleinkinder wurden wir drei - schon bald nach dem Krieg - zusammen mit Euch in das Führerhaus eines mit Sägespäne betriebenen selbstgebauten Kleinlastwagens, eines sogenannten Holzvergasers, gepresst. Und dann ging es in diesem lebensgefährlichen Gefährt auf eine zweitägige Reise über Landstraßen (Autobahnen gab es nur auf kurzen Teilstrecken) nach Bokel, dem Wohnsitz der Familienältesten, unserer Omi.

Eure Freunde, Christel und Rudi Wiese hatten sich zu diesem Zweck extra in Göttingen angesiedelt, damit wir auf halber Strecke wenigstens irgendwo übernachten konnten.

Und dieses Ritual vollzog sich jahrein jahraus in jedem Herbst zu Omis Geburtstag. Das war so und konnte nicht anders sein.

Wenn man mit so etwas aufwächst, wird es für einen zur selbstverständlichsten Sache auf der Welt, auch wenn es für andere Mitmenschen unbegreiflich erscheint!

Meine Brüder und ich haben später viele Menschen außerhalb unserer Familie erlebt, die die Hände über dem Kopf zusammenschlugen, als sie erfuhren, daß wir - nur weil wir irgendwo zum Geburtstag eingeladen waren - Fahrtstrecken von mehr als 50 km auf uns nahmen, gar nicht zu reden von 600 oder 700 km.

Feiern gehört eben zu den Krügers, wie die Luft zum Atmen.

Eng verbunden mit dem Thema Familie ist - zweifelsfrei angestoßen durch die diesbezüglichen Anforderungen der Nazis - das Thema Ahnenforschung. Wie Dein Bruder Horst schon in seinem Buch über die "ganz normale"(?) Familie der Krügers schreibt, hat Dein Vater damit begonnen.

Er hatte die Gursker Kiche, in der alle Kirchenbücher seit ihrer Gründung noch vorhanden waren, direkt vor der eigenen Haustür. Leider konnte er die Lücke zwischen den Landwirten von Alt-Thorn und den Bürgermeistern von Thorn nicht mehr schließen.

Da ich weiß, daß auch Dich dieses Thema sehr interessiert, habe ich den von mir als Jugendlicher entworfenen Stammbaum - mit dem typischen Herzen in Zentrum - noch mal ins Reine gezeichnet und übergebe ihn Dir hiermit.

Angeregt durch den Kopernikusband von Jürgen Hamel, den Du und Mutti mir zu meinem 55. Geburtstag schenktet, und den "Thorner Ehrentempel" vor Prätorius, den Du Dir aus der Niedersächsischen Landesbibliothek auf Film besorgt hast, bin ich auch dem Thema "Copernikus und die Krügers" nochmal nachgegangen und habe auch hierzu einen entsprechenden Stammbaum angefertigt.

Durch meine Recherchen zu dieser Festschrift, bin ich bei Doris auch auf einige bisher in der Familie - meines Wissens - kaum bekannte Photos von Vorfahren gestoßen, die ich hiermit veröffentlichen darf.

Ein weiterer unvermeidlich mit dem Thema Familie verbundener Aspekt, ist der der Heimat. Sie war den überwiegenden Teil Deines Lebens für Dich und uns nicht erreichbar und schon allein aus diesem Grunde war sie allgegenwärtig.

"Thorn", "Westpreussen", welch eine Magie lag und liegt auch heute noch für mich in diesen Worten. Wir Kinder kannten diese unsere Heimat ja nur aus Erzählungen; und auf den nicht gerade selten stattfindenden Familienfeiern standen diese beiden Namen verständlicherweise sehr häufig im Mittelpunkt der Gespräche.

Wen wundert da der Stolz, mit dem ich diese beiden Worte stets besonders betonte, wenn ich als Kind nach meinem Geburtsort gefragt wurde.

Obwohl in unserer Familie lange darüber diskutiert wurde, ob es für Euch beide nicht zu schmerzlich sein wird, die Heimat nach so langer Zeit wiederzusehen, haben wir es dann doch wahr gemacht. In Dietgers großem Wohnwagen ging es eines Tages zu fünft auf die Reise gen Osten.

Im Nachhinein haben wir alle festgestellt, daß es richtig war. Es floß zwar die eine oder andere Träne, aber es war sowohl für Dich und Mutti, aber auch für uns Söhne ein großes Erlebnis und eine nicht zu unterschätzende Bereicherung.

Von dieser Reise blieben auch ein paar neuere Bilder von Thorn, die Dir bekannt vorkommen werden. Sie hängen bei Dir zu Hause an den Wänden, und trotzdem - oder auch gerade deshalb glaube ich, daß sie sich auch ganz gut in der Mitte der Dir gewidmeten Festschrift ausmachen werden.

Damit bleibt nur noch ein Thema offen, nämlich Dein Berufsleben.

Ich denke, da hast Du uns schon sehr früh vorgemacht, was heute anerkannte Notwendigkeit ist: der Mensch der Zukunft wird nicht mit einem einzigen Beruf während seines gesamten Lebens auskommen.

Soweit mir bekannt ist, hast Du eine Lehre in der Metallverarbeitung gemacht und hast Dir auch Deine eigene Sparbüchse selbst aus Metall hergestellt. Zum Ärger Deines Bruders Werner, der ständig ohne Geld war, war es Dir eine große Freude, heimgekehrt, vor seinen Augen, Deinen Verdienst in dieser Sparbüchse unterzubringen.

Nach Deiner Lehre hast Du Maschinenbau studiert und hast mit Werner zusammen die HaWeKa gegründet. Ein Bild der dazugehörigen Gebäude konnte ich bei Doris auftreiben.

1939 hast Du Dich dann ins Oelgeschäft begeben und wie ich aus vielen Gesprächen von zu Hause weiß, sind einige Deiner Tankwaggons noch zu Zeiten der DDR im Osten gefahren, ohne daß Du je eine Entschädigung dafür bekamst.

Nachdem Du uns und Mutti nach der Gefangenschaft in Köchingen bei Braunschweig wiederfandest - die Post scheint damals besser funktioniert zu haben, als heute - bist Du dem erneuten Ruf Deines Bruders Werner gefolgt und Ihr habt in Goddelau die Firma "Gebrüder Krüger Landmaschinen" gegründet. Eure ersten Lehrlinge waren Leo und Helmut. Sie waren so nett, mir einige Histörchen aus der damaligen Zeit zukommen zu lassen. Es ist schon erstaunlich, was Du Dir da so geleistet hast!

Nach diesen einleitenden Worten, die zeigen sollten, warum die Schwerpunkte dieser Festschrift den Themen Familie und Thorn gewidmet sind, wünsche ich viel Spaß bei der Lektüre und bitte um Nachsicht, daß vielleicht das ein oder andere Thema zu wenig Platz gefunden hat.

Zu danken habe ich allen, die mich tatkräftig bei der Sammlung von Bildern und Anekdoten unterstützt haben.

Dein Lorbaß Volker


 
weiter: Festschrift für Hans-Joachim Krüger; Seite 8: Omi
   

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© 2000   Volker J. Krüger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 14.08.2010