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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Matthias Krüger

Omi

Aus der Sicht ihres Enkels Matthias Krüger


"Hans-Joachim"
Festschrift zum 85. Geburtstag von Hans-Joachim Krüger, Altthorn
, S. 8 ff
Volker Krüger [Hrsg.]
Dortmund Februar 1998

Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text
[Bei der hier Beschriebenen handelt es sich um die Mutter des Geburtstagskindes,
Käthe Krüger, geb. Huhse aus Altthorn ]


 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23], bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.

[8] Als mein Bruder Andreas 1952 geboren wurde, kam ich zur Verwandschaft nach Stubben. Da war auch Omi. Aber so recht in mein Bewußtsein trat sie erst, als sie 1956 zu uns nach Hannover zog. Meine Eltern hatten das Haus in der Neuen Wietze gebaut, in der mehr Platz war als in Tante Ediths Haus in Stubben. Und außer Omi lebten dort noch zwei erwachsene Frauen und vier Jugendliche in fünf ziemlich kleinen Zimmern. Da war es ein Familienbeschluß, daß Omi zu uns kommen sollte. Sie bekam ein großes Zimmer, in das mein Vater sie stolz führte und zu ihr sagte: "Hier kannst Du es Dir schön machen!" Sie antwortete schroff: "Ich brauche nur ein Bett und einen Stuhl." Trotzdem ließ sie sich dann später einen Schrank und ein Bett unter die Dachschräge einbauen. Und das Zimmer hieß dann bei uns "das Gänsenest".

Omi's 70. Geburtstag war das erste Fest bei uns. Mein Vater hatte wohl große Hoffnungen an dieses Fest geknüpft. Er dachte, die Tradition schöner Feiern wie zu Zeiten in Alt-Thorn wieder aufleben lassen zu können. Doch es wollte sich nicht die rechte Stimmung einstellen.

Nun sollte sich Omi nach der Flucht 1945 aus Westpreussen erneut in einer fremden Umgebung einleben. Genau das aber tat sie nicht. Sie knüpfte in all den Jahren, die sie bei uns war, keine Kontakte. Sie kannte die Nachbarn, das war alles. Aber sie schrieb Briefe. Omi hatte den rechten Mittelfinger durch eine Wundinfektion verloren. Dadurch war die Hand ziemlich ungelenk und steif. Oft rieb sie Zeigefinger und Ringfinger aneinander. Aber sie schrieb - beschwerlich und mit stets zittriger Schrift - Briefe an ihre Töchter und Schwiegertöchter. Sie hielt die Familienbande zusammen durch ihre Briefe. Und wenn es ihr nötig erschien, dann reiste sie auch zu ihren Kindern. Dann blieb sie oft drei Wochen in Goddelau oder gar vier in Stubben. Und wenn sie zurückkam, dann erzählte sie, wie es allen so ging, was sich ereignet hatte. Es gab oft spannende Geschichten zu hören. Über Tante Ullas Krankheiten zum Beispiel oder über Sybilles Eigensinn. Aber so sehr sie sich auch aller Probleme annahm, nie hörte ich aus Omis Mund ein Wort der Kritik oder der Wertung.

Für uns Kinder war Omi einfach nur da, sie existierte. WER sie eigentlich war, was sie für Wünsche, Hoffnungen, Gedanken zum Leben hatte, weiß ich bis heute nicht. Sie war nicht aus unserer Welt der fünfziger und sechziger Jahre in Hannover.

Sie war - so schien es uns aus einer vergangenen Welt, aus Alt-Thorn. Vielleicht hatte ihr eigenes Leben mit dem Tod ihres Mannes geendet oder mit der Flucht? Sie trug fast ausschließlich dunkle, meist schwarze Kleidung. Farbiges habe ich an ihr nie gesehen. Und sie war für uns immer eine alte Frau.

Sie stand morgens als letzte auf und ging erst ins Bad, wenn wir Kinder und unser Vater aus dem Hause waren, da wir nur ein Bad hatten. Dann wusch sie sich ausgiebig unter fließendem Wasser, was meine Mutter manchmal ärgerte, da sie es für Wasserverschwendung hielt. Immer hatte Omi geschwollene Knöchel. Als sie mal zu einem befreundeten Arzt ging, sagte der, daß ihr Herz sehr schwach sei. Sie nahm dann jahrelang Herztabletten ein. Sie war darin sehr zuverlässig und lebte noch über ein Jahrzehnt. Für mich waren geschwollene Knöchel lange eine selbstverständliche Begleiterscheinung des Alters.

Sicher war die Aufteilung des Haushaltes zwischen meiner Mutter und Omi nicht immer leicht. Omi wusch ab und kochte wohl auch öfter. Im Sommer pflückte sie Beeren im Garten und kochte Marmelade. Oft spielte sie in den Ferien mit uns stundenlang Canasta oder Rommée. Als sie an einem verregneten Vormittag nur schlechte Karten hatte, mischten wir ihr, während sie auf dem Klo war, ein gutes Blatt. Sie war ganz zufrieden darüber und wunderte sich, warum wir so feixten. Obwohl sie nur eine kleine Rente hatte (Tante Edith sagte, daß sie erst spät eine Kriegshinterbliebenenrente erhielt und die Rente aus dem Lastenausgleich meines Vaters wurde auch erst ab Mitte der fünfziger Jahre gezahlt), erhielt zu Weihnachten jedes Familienmitglied ein Geschenk. Wir Enkel bekamen jahrelang jeder ein Geschenk im Wert von fünf DM. Bei mir waren es immer die Meckibücher, die die "Hör zu" lange Zeit zu Weihnachten herausgab. Unter ihren Enkeln hatte Omi zwei Lieblinge: Horst und Andreas, den sie jahrelang nur Schätzchen nannte, da sie seinen Namen nicht mochte. Ihre Lieblinge nannten wir in ihrer Gegenwart ihre "Herzepinkel", was sie immer etwas verlegen machte, auch wenn sie es nie leugnete.

Als 1962 Tante Ursel ihr Haus bezog und sich bei uns gleichzeitig Christian ankündigte, ging Omi zurück nach Stubben. Für sie war das sicher das Beste, was sie sich für den Rest ihres Lebens wünschen konnte. Stets hatten wir den Eindruck, daß ihr Herz bei ihren Töchtern und deren Kindern in Stubben war. Im Herbst des Jahres 1963 fuhren Omi, Andreas, Vater und ich mit dem Auto nach Westberlin. Von dort ging es über Bahnhof Friedrichstraße mit einem zweistöckigen Zug der DDR-Reichsbahn um ganz Berlin herum nach Nauen, um Tante Frida Kriewald und Jutta zu besuchen. Es waren wohl drei Tage an denen es nur regnete und wir die DDR-Wirklichkeit nicht nur wegen des Plumpsklos im Garten als sehr bedrückend erlebten. Als wir zurückfuhren und auf der Interzonenautobahn in der Höhe von Magdeburg waren, brach die Sonne durch die Wolken. Da sagte Omi mit einem Seufzer: "Ist es nicht schön bei uns im Westen?"

Der achtzigste Geburtstag wurde dann groß im Lokal gefeiert. Von da an *) waren Omis Geburtstage gern wahrgenommene Pflicht für die ganze Familie, sich einmal im Jahr zu treffen. Da er auf den 31.10., den Reformationstag, fiel, hatten wir Kinder - auch später als Studenten - stets schulfrei. Die Geburtstage waren nicht nur Familientreffen sondern auch Diskussionsforum und Begegnung der verschiedenen Meinungen in der Familie. Da fand die gesellschaftliche Auseinandersetzung der endsechziger Jahre zwischen Links und Rechts, zwischen Kapital und Revolte in einer einzigen. Familie statt.

Am 30. Januar 1971 starb Omi in Tante Ediths Haus. Sie war geistig frisch bis zum Schluß, auch wenn sie oft mal einen Anlauf brauchte, ehe sie unsere Namen gefunden hatte: "Horst, nein Rüdiger, nein Volker, ach ja Matthias". Sie war vier Wochen bettlägrig und während dieser Zeit nahm die ganze Familie von ihr Abschied. Erst als auch ihr ältester Sohn Werner gekommen war, konnte sie sterben. Mit ihr starben die Familienfeiern zu ihrem Geburtstag und der Mittelpunkt einer Familie aus Alt-Thorn.

*)Anmerkung der Redaktion: Lieber Matthias, ich danke Dir sehr, daß Du meinem Aufruf gefolgt bist und Dich der Mühe unterzogen hast, zu meines Vaters Geburtstag, etwas über ihn - oder die Familie zu schreiben. Der vorliegende, vorzügliche Bericht zeichnet Omi so nach, wie sie wohl auch von den meisten ihrer anderen Enkel empfunden wurde. Dennoch kann ich mich an manchen Stellen eines Schmunzelns nicht erwehren. Du verzeihst mir dieses bitte, lieber Matthias, es ist nicht böse gemeint! Mir ist nur bei der Lektüre wieder einmal bewußt geworden, wie leicht unser subjektives Erleben uns - bei der Beurteilung von Fakten - einen Streich spielen kann.

Wie schon in meiner Einleitung erwähnt haben wir uns schon bald nach dem Kriege - unter wirklich schweren Bedingungen - regelmäßig anläßlich Omi's Geburtstag zu unseren Familienfeiern zuerst in Bokel und dann in Stubben eingefunden. Und wie das obige Photo beweist, starben mit ihr durchaus nicht die Familienfeiern zu ihrem Geburtstag. Du warst nur vorher und nachher nicht dabei.


 
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© 2000   Volker J. Krüger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 13.03.2004