HEIM@THORN Editorial - Inhalt Die Thorner Stadtniederung - Inhalt Das Buch - Inhalt
Quelltexte - Inhalt Anhang - Inhalt Die Links Mein Thorn
Julius Arndt, Guttau: Mein Lebenslauf 


Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Julius Arndt, Schuhmachermeister



Mein Lebenslauf





Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text 14 Seiten Schreibmaschine
 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23] , bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.

[1] Geboren wurde ich als 6. Kind von 9 Geschwistern (3.2.1881) als Sohn des Arbeiters und Eigentümers Paul Julius Arndt und seiner Ehefrau Wilhelmine, geborene Bauermeister in Guttau, Kreis Thorn. Wir waren 5 Brüder und 4 Schwestern. Nach der achtjährigen Schulzeit und Konfirmandenzeit 1895 blieb ich noch bis Neujahr zu Hause, weil ich etwas schwächlich war und half den Eltern in der kleinen Landwirtschaft und bei den Bauern in der Korn- und Kartoffelernte. Aber auch in den letzten Schuljahren half ich den Bauern meistens in der Kartoffelernte, um bei der Bekleidung den Eltern zu helfen, denn es ging bei uns zu Hause ziemlich ärmlich zu. Der Arbeitslohn war sehr niedrig.

Bei den Bauern bekam der Vater eine Mark und Verpflegung, sonst bei Waldarbeit, Mähen oder Buhnenarbeit 1,8O bis 2 Mark. Sein höchster Lohn war später 3,50 Mark täglich. Daher mußten die älteren Geschwister gleich nach der Schulentlassung bei den Bauern in Stellung gehen, um sich selbst zu bekleiden und zu ernähren. Der Jahreslohn war zwischen 12 und 30 Taler, je nach Alter und Arbeitsleistung, trotzdem sparten meine Geschwister noch etwas. Meine um 2 Jahre ältere liebe Schwester starb leider 12jährig an der Ruhr. Einen Arzt gab es nicht auf den Lande.

Am 2. Jan. 1896 kam ich in die Lehre bei dem polnischen Schuhmachermeister Anreas Borkowski in Schulitz Krs. Bromberg. Ich mußte 3 1/2 Jahre lernen, da meine Eltern nicht die 50 Mark für das halbe Jahr zahlen konnten. Es waren da immer 7 Lehrlinge und meistens auch soviel Gesellen. Die Arbeitszeit war immer morgens von 6 Uhr bis abends 10 Uhr, nur unterbrochen durch die Essenszeit und Sonnabends ging es meistens bis 12 Uhr nachts, je nachdem man mit seiner Arbeit fertig war. Zum Dank dafür hatte der Meister die üble Angewohnheit, mindestens alle 14 Tage alle Lehrlinge, ausgenommen die, die das letzte Jahr lernten, durchzuprügeln.

Als älterer Lehrling hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, Sonntags oft über die Weichsel mit der Kahnfähre zu fahren, um die Kundschaft drüben zu bedienen (Schuhwaren hinbringen, Maßnehmen usw.) Dieses war oft mit Lebensgefahr verbunden bei großem Sturm oder schwerem Eisgang oder schon morschem Eis. Dafür durfte ich alle 4 bis 5 Wochen durchgehen nach Hause (2 Stunden weit), wenn ich die Kundschaft bedient hatte.

[2] Auch mußte ich als älterer Lehrling einige Mal mit zum Jahrmarkt in Schulitz und Scharnau (über die Weichsel) die Buden aufstellen und verkaufen helfen. Der Meister hatte ein Schuhladengeschäft und stand außerdem noch auf dem Jahrmarkt mit Schuhen und Stiefeln in zwei Buden aus.

Nach beendeter Lehrzeit und Gesellenprüfung (der erste Wochenlohn betrug 3 Mark die Woche), da machte ich fort, obgleich mir der Meister eine Filialstelle übergeben wollte und fuhr nach Bromberg. Hier arbeitete ich fast ein Jahr auf zwei Stellen bei einem Wochenlohn von 6 Mark und Verpflegung. Auf Bitten meiner Eltern zog ich im Herbst 1900 nach Hause. Inzwischen waren die Eltern nach Klein Bößendorf Krs. Thorn gezogen. Ich fing da selbständig an und hatte bald Kundschaft und Arbeit genug, weil ich reell arbeitete.

Auf Zureden meiner Mutter kaufte ich nebenan eine 5 Morgen große Landparzelle und kaufte mit viel Mühe und Strapazen all das, Material, daß zum Bauen gehört. Im Frühjahr ließ ich dann das Wohnhaus mit Stall und Scheune errichten. Dabei stellte sich heraus, daß der nächste Zufahrtsweg nicht zu dem Grundstück gehörte und die Nachbarn verweigerten mir die Baumaterialanfuhr. Ich ließ es zum Prozeß kommen, der dauerte über ein Jahr. Schließlich einigten wir uns, aber ich mußte alle Jahr 7,50 Mark für die Wegbenutzung zahlen, das gefiel mir nicht. Dazu kam das Gericht und die zwei Rechtsanwälte aus Thorn. Die Kosten für das Gericht mußte ich zahlen.

Das Bauen selbst mußten meine beiden Brüder, Bernhard und Adolf, als Helfer und Handlanger und vieles selbst machen, da ich dazu keine Zeit hatte und mein Handwerk nicht vernachlässigen konnte und wollte. Der Hausbau wurde im Juni 1906 fertig und ich zog da ein. Inzwischen hatte ich bei einem Besuch bei meinem verheirateten Bruder Karl, wohnhaft in Dembowiz Krs. Culm, die einzige Tochter Emma des Bauern Karl Gollnick in Schlonz Krs. Culm kennen gelernt, die mir gefiel. Nach längerem Verkehr und Besuch heirateten wir. Die Hochzeit fand am 16. April 1906 am zweiten Osterfesttag in größerem Maßstabe mit der Trauung in der Erlöserkirche zu Kokozko statt.

Da meine Frau zu Hause noch sehr dringend in der Hackfrucht und Heuernte gebraucht wurde, zog sie erst im Juni zu mir in das neue Haus. Mitlerweile hatten wir nun auch Vieh angeschaft. Eine Kuh, Schweine usw. Doch meiner Frau gefiel es da nicht. Inzwischen wurde uns eine Tochter geboren, die aber nach der Geburt starb.

[3] Am 2. Weihnachtstag 1907 wurde dann unsere zweite Tochter Hertha geboren. Da mir die Lage wegen des Handwerks nicht gefiel, verkaufte ich das Grundstück mit lebendem Inventar 1908 an meine Cousine und wir zogen im November einstweilen zu meinen Schwiegereltern, nach Schlonz Krs. Culm, wo ich in der Landwirtschaft half, aber zwischendurch auch wieder in der Schuhmacherei arbeitete. Daselbst wurde uns dann unser Sohn Otto am 20. Sept. 1909 geboren und am 14. Nov. 1910 wurde unsere Hildegard Gertrud dort geboren. Am 4. April 1920 wurde Emmi und am 14. Nov. 1914 wurde unser Ernst, am 4. Nov. 1921 Elfriede Emilie und am 9. Nov. 1922 Gertrud Maria geboren.

Im Januar 1912 kaufte ich eine Landparzelle von 8 Morgen Größe von dem Polen Zukerski in Borken und wieder fuhr ich umher, um Baumaterial aller Art zu besorgen. Während ich die Ziegel auf dem Wasserwege der Weichsel aus Fordon bezog, kam das meiste Bauholz aus Rußland. Die Maurerarbeit usw. führte mein Schwager Karl Gollnick mit seinem Kollegen aus. Die Zimmerarbeit ein Mann aus Damerau mit Kollegen Beister aus Dembowiz. Im Juni 1913 war das Haus dann größtenteils fertig, so daß wir einziehen konnten. Da der alte Schwiegervater und der junge Schwager Otto vollauf mit Feldarbeit Heu und Scheunendachreparatur zu tun hatten und der ältere Schwager Franz beim Militär (Schwarze Husaren in Danzig Langfuhr) war, halfen sie uns wohl unsere Möbel aufzuladen in Schlonz, aber abladen mußten wir es in Borken (unserem Wohnsitz) selbst. Da meine Frau schwanger war, hatte sie sich durch das schwere Heben und Tragen der Möbel einen Blutsturz zugezogen und mußte schnell ins Bett. Die Hebamme, die ich holte, konnte nichts helfen. Sie verlangte den Arzt. Also bestellte ich telefonisch den Arzt aus Fordon, ca. 20 km entfernt. Als der im Auto nach einer Stunde kam, verlangte er noch zwei Frauen als Zeugen zu der Operation, doch Freunde in der Not gehen 100 auf ein Lot, das mußte ich wieder erfahren. Die eine hatte nicht Zeit, die andere konnte kein Blut sehen, also war nur ich und die Hebamme dabei. Gott sei Dank glückte die sehr gefährliche Operation. Nach nochmaligem Besuch des Arztes wurde meine Frau bald wieder hergestellt. Am 20. 5. wurde Karl geboren und am 14. Nov. 1944 Ernst geboren.

[41] Nachdem wir wieder viel angeschafft hatten, einen Obstgarten angelegt hatten, hatte ich zu der Landwirtschaft auch vollauf mit der Schuhmacherei zu tun, so daß ich noch einen Gesellen beschäftigen konnte. Aber im August 1914 brach dann der Krieg los und bald erhielt auch ich den Gestellungsbefehl. Da meine Frau schwanger war, reklamierte ich und wurde vorläufig zurückgestellt. Aber ich mußte einige Wochen Amierungsarbeiten (Schützengräber) hinter Culm machen helfen, bis ich selbst davon zurück blieb. Am 2. Februar 1915 wurde ich dann zum Militär eingezogen und kam mit 2 Freunden aus unserer Gegend nach Danzig zur Infantrie. Nach zweimonatiger Ausbildung kam ich zur weiteren Ausbildung nach Graudenz und am 1. Juni 1915 kam ich mit einem Transport von 50 Mann ins Feld nach Rußland Litauen. Bei dem schnellen Vormarsch unserer Armee hatten wir viele Schützengräben zu bauen und Vorwärtskämpfe mit den Russen. Aber am schwersten hatte es meine liebe Frau daheim mit der Landwirtschaft und den 4 kleinen Kindern, die noch dazu eine zeitlang krank lagen. Wahrlich sehr bedauernswert, da ihr der alte Vater auch nicht in der Landwirtschaft helfen konnte, weil er alt war und die beiden Söhne auch im Krieg waren. Aber der liebe Gott hat ihr auch geholfen, trotz der vielen Arbeit, Not und Sorgen. Meine Löhnung im Feld ließ ich immer durch Feldwebel nach Hause schicken. Nach der Einnahme von Kowno ging es auf Wilna zu. Aber bei einem Stellungswechsel in stockfinsterer Nacht kam unsere Gruppe durch die Unachtsamkeit anderer Gruppen in russische Gefangenschaft. Wir waren von ihnen eingekreist und mußten uns, nachdem wir unsere Gewehre unbrauchbar gemacht hatten, ergeben. Was das für ein Gefühl ist, kann nur der verstehen, der es selbst durchgemacht hat. Derweil wir kurz vorher in unserer Gruppe berieten, wie wir durchkommen konnten, schlug eine Granate uns vor den Füßen ein, verletzte 4 unserer Kameraden, davon einen sehr schwer, so daß ihm die Fleischfetzen runterhingen und wir ihn mit Hilfe der russ. Wachmanschaft auf einer schnell gemachten Trage bis zum nächsten Verbandsplatz tragen mußten. Ich blieb durch Gottes Beistand unverletzt. Während der eine russ. Begleitmann uns ein Stück Brot gab, nahm es der hintere uns wieder weg. Also wurden wir nach Wilna in eine Baracke gebracht und auf dem Transport durch die Stadt von einem Pöbel, meist Juden, bespuckt, beschimpft und mit Steinen beworfen. Das war am 2. Sept. 1915. Da aber unsere Granaten überall in die Stadt einschlugen und die Stadt am 3. Sept. von Unseren schon eingenommen wurde, mußten wir nachmittags wieder raus.

[5] Wir waren jetzt schon 24 Deutsche und viele Österreicher, so daß ein ganzer Transport war. Nun bekamen wir Kosaken als Wachmannschaft. Die waren zu Pferde und machten von ihrem Kontschak reichlich Gebrauch, wenn einer etwas zurück blieb. Abends bekamen wir das erste Mal 1 Pfund warmes Brot, das wir sehr hungrig gleich aufaßen. Dann ging es weiter bis zu einem russ. Divisionsstab. Hier sollten wir Auskunft geben über die deutsche militär. Stärke usw., was wir natürlich ablehnten. Dann wurden wir auf Waffen untersucht, aber da wir keine hatten, von den Russen unser Geld, Uhren, Ringe usw. abgenommen wurden. Ich hatte schnell mein Geld 7,50 Mark, durch die Hosen in die Stiefel rutschen lassen, aber keine Zeit mehr, auch die Uhr verschwinden zu lassen. So wurde mir diese auch geraubt. Nachdem wir auf einer anderen Stelle noch einmal verhört wurden, trieben uns die Kosaken weiter. In der finsteren Nacht wollte ich mich seitwärts in die Büsche werfen und dann zurück laufen, aber keiner wollte mitmachen.

Morgens wurden wir dann in die Bahn, in Güterwagen verladen. In jedem Wagen waren zwei Mann Wachsoldaten. Hier lagen wir über 3 Wochen. Nur zweimal bekamen wir etwas Brot. Die meisten ostpreußischen Kameraden hatten noch ihre Löhnung (über 100 Mark in Gold). Auf manchen Stationen waren russ. Frauen, die verkauften Brot, Wurst usw. Sie nahmen eine Goldmark für einen Rubel und die Kameraden mit Goldgeld konnten sich alles kaufen, aber meine Silbermark wollten sie anfangs nicht. Mitleidige Frauen warfen uns aber öfters Brot ohne Geld in den Wagen. 1 Pfund Schwarzbrot kostete damals nur 3 Kopeken. Endlich wurden wir eines Morgens ausgeladen in Moskau. Da die Baracke aber überfüllt war mit Österreichern, wurden wir anderen Tags wieder in die Bahn verladen und weiter gings nach Kostroma. Aber auch da waren die Baracken überfüllt und wieder ging es mit der Bahn weiter bis Nereihta, hier lagen wir in einer Kaserne zwei Monate lang. Oben II. Etage junge Artilleristen, unten wir. Zur Verpflegung gab es morgens 1 Pfd. frisches warmes Brot (1 russ. Pfund ist 400 Gramm deutsches Pfund) und mittags gab es einen Tag Fischsuppe und einen Tag Kohlsuppe ohne Fisch und Kohl, das hatten schon die russ. Soldaten weg, die kriegten zuerst. Ein russ. Wachmann ging fast täglich zur Stadt einkaufen, auch für uns. Aber nicht ohne Verdienst. Da meine 7,50 Mark in Schwarzbrot verzehrt wären und der Hunger nagte, vertauschte ich meine Stiefel gegen 1 Paar Schnürschuhe u. 2 Rubel Zuschlag. Später dann den Mantel gegen 2 Rubel.

[6] Eines Morgens wurde wieder ein Transport aufgerufen, fast alles Österreicher, nur ich allein von meiner Gruppe kam mit. Mit der Bahn ging es nach Nischni Nowgorod in eine Kaserne. Einige Mal mußte ich auch über die fast 3 km lange Wolga-Holzbrücke in den anderen Stadtteil, um Stoffballen in ein Lager Trepp auf tragen, wobei mir eine alte Frau ein 3 Kopekenstück heimlich zusteckte. Dafür bekam man 1 Pfd. Schwarzbrot oder ein Bullki (Semmel). Es war sehr kalt. Inzwischen ging wieder ein Transport ab nach Tomsk Sibirien. Mein Freund Bork neben mir kam mit. Ich blieb zurück. Nach zwei Wochen ging wieder ein Transport mit 75 Österreichern und uns 24 Reichsdeutschen ab. Mit der Bahn ging es nach Ryasan ca. 140 km hinter Moskau. Spät Nachts kamen wir da an, wurden in eine Art Saal gelagert. Es war sehr kalt. Ich fror mächtig. Da holte ich mir das Rheuma, an dem ich lange Zeit zu leiden hatte. Anderen Tags kamen wir 24 Deutschen zum Straßenschneekehren in ein Haus. Da war ein Ofen drinnen. Wir konnten heizen. Es war warm im Raum. Hier feierten wir unser erstes deutsches Weihnachtsfest, ohne Christbaum nur ein Zweig mit Papierranken und Lichte. Es war sehr kalt, bis 47°C. Wir kriegten 3 Rubel pro Mann monatlich, lebten aber gut, da damals alles sehr billig war. Es kostete z.B. 1 Pfd. Fleisch 7 Kopekten, 1 Pfd. Brot 3 Kopeken, 1 Pfd. Kartoffel= 25 Pfund 25 Kopeken usw. Aber ich brauchte nur paar Wochen Schnee fegen und schaufeln. Bald hatte unser alter Wachrusse herausgekriegt, daß ich Schuhmacher bin. Von da an mußte ich in der warmen Stube bleiben und für seine Familie usw. ihre Schuhe reparieren. Das nötigste Werkzeug und Material besorgte er. Aber Post aus oder nach der Heimat hatten wir nicht. Aber zum Frühjahr mußten wir unser gutes Quartier und Arbeit verlassen, weil unser deutsches Heer so schnell an der Front vorging, mußten wir wohl zur Strafe auf den Obus (Hof) und die Czechen ablösen. Die Fahrer fuhren täglich oft auch Nachts in vier Kolonnen, 2 Pumper u. 2 Schepperkolonnen mit je 1 Wachmann, die Aborte zu entlehren. Wir lagen im Feuerwehrdepot. Ich mußte aber auf den Hof ins alte Quartier und den czechischen Schuhmacher ablösen, der solange für Czechen das Stiefelwerk repariert hatte. Die Czechen übernahmen unser Quartier als Straßenkehrer. Unseren 23 Deutschen gefiel die Arbeit nicht. Einige suchten sich leichtere bessere Arbeit (Pferdeställe reinigen, Heu und Haferfahren usw.) Vorher lagen wir aber einige Wochen draußen in einer Bretterbaracke zum Ausheben einer großen Grube für Kloake. Da fror auch ich sehr. Das Dach war nicht regendicht.

[7] Da die Lebensmittel jetzt schon viel teuerer und knapper waren, kamen wir 24 Deutsche, die da draußen waren nicht aus und verlangten statt 3 Rubel 6. Da sollten unsere Rädelsführer eingesperrt werden, aber wir hielten zusammen und ließen uns schließlich alle 23 zusammen einsperren. Nur der Koch blieb zurück, um uns das Essen ins Gefängnis zu bringen. Nach vielem Verhandeln bewilligte man uns 5 Rubel und nach 2 Tagen kamen wir wieder raus. Wir hatten draußen 2 poln. Polizisten zur Bewachung. Als ich 1915 in die Gefangenschaft kam, war noch die Zarenregierung. Als die verjagt war, kam eine zeitlang Kerenki an die Regierung. 1917 kam dann Lenin und Trotzki ans Ruder. Von da an konnten wir auch ohne Bewachung in die Stadt gehen und waren freier.

Im Okt. 1916 war die Grube fertig und wir kamen in die Stadt zurück und auf den Hof, wo ca.100 Pferde waren. Mit den Österreichern, Ungarn, Slowaken, Slowenen usw. waren wir zusammen 100 Mann. Dann kamen noch 40 Türken dazu. Für diese 140 Mann sollte ich als Schuhmacher arbeiten. Ich sagte allein schaff ich das nicht. Also bekam ich noch einen österreichischen und einen türkischen Schuhmacher dazu. Da kein deutscher Schuhmacher da war, wählte ich mir einen (Hames), der gern Schuhmacher lernen wollte dazu. Ich hatte nun mit einrichten, Zuschneiden usw. zu tun. Im Winter wurden die Lederstiefel fertig gemacht, vorgeschuht usw. und im Sommer die Filzstiefel, Filzsohlen untergenäht usw. Ich selbst habe nur eingerichtet gesteppt auf der Schneidermaschine nebenan beim Schneider usw. Da ich viel Privatarbeit für den Dessetnik (Aufseher) und seine Familie zu machen hatte (neu neues Schuhwerk), daher konnte er es mir auch nicht verbieten, daß ich auch viel Privatarbeit für die Kameraden usw. auch für die Russen und österreichischen Offiziere machte. Aber meine Gedanken waren nur immer zu sparen, um bei Gelegenheit auszurücken. Während manche Kameraden bis spät in die Nacht saßen und fast ihr ganzes Monatsgeld (die letzte Zeit bekamen sie 110 bis 130 Rubel) mit den russ. Wachsoldaten verspielten im Kartenspiel), arbeitete ich halbe Nächte, um zu sparen. Aber ich hatte auch viele schreckliche Rheumaschmerzen in den Knien, meistens Nachts. Dazu die vielen Läuse, Wanzen, Ratten usw. Sonntags ging ich und manche Kameraden in die Kirchen. Ich war in russischen und katholischen Kirchen und in unserer evang. lutherischen Kirche, wo alle 3 Wochen Gottesdienst war. Dort bildeten 8 Kameraden einen kleinen Kirchenchor unter der Kantoristin (Frl).

[8] Und wieder gab es Krach, die Fahrer sollten auch am Sonntag und an unseren Feiertagen arbeiten. Nach vielem Verhandeln einigte man sich dahin, daß nur in ganz dringenden Fällen am Sonntag früh einmal gefahren wurde, aber an unseren Feiertagen wurde nicht gearbeitet. Trotz guten Verdienstes (ich hatte einige deutsche Mark, für eine deutsche Mark 2 Rubel gezahlt) mein letzter Lohn war 115 Rubel monatlich, wurden die Lebensmittel fast täglich teurer und so knapp, daß fast nichts mehr zu kaufen war. Brot gab es nur von Haferschrot. Manche wurden schon davon Magenkrank und suchten sich andere Arbeit, sogar beim russ. Militär. Da beschloß ich mit meinem Freund Fritz Bork auszurücken. Nachdem wir beide schon lange vorher für getrocknetes Brot, Tee, Zucker usw. gespart und gesammelt hatten. Ich überredete noch einen österreichischen Feldwebel Holfeld und er kam mit. Er sprach perfekt russisch und polisch. Nachdem der erste Fluchtversuch gescheitert war, ließ ich durch eine uns freundlich gesinnte Köchin für uns drei Fahrkarten bis Minsk für über 60 Rubel kaufen und so gingen wir am 30. März 1918 abends los. (Mein Werkzeug u. Material hatte ich dem Joh. Hames geschenkt) Wir umgingen den Bahnhof und schlichen uns in einen Güterwagen des Personenzuges, wo schon einige Internierte waren, die zurückfuhren. Wie lange wir gefahren sind, weis ich nicht, da ich bald eingeschlafen war. Doch da schüttelte mich Holfeld wach. Wir waren an einem großen Bahnhof, stiegen schnell nach hinten aus, machten einen großen Bogen um den Bahnhof, auf dem es von russ. Soldaten wimmelte und gingen (es war 12 Uhr nachts) dann möglichst an der Bahnstrecke nach Westen zu. Schließlich waren wir müde und krochen in eine Heumiete in der Nähe. So lagen wir öfter nachts oder in einsamen Bauernhäusern. In einen Hof führte uns Holfeld, wo nur die Frau mit Tochter waren. Mit dieser machte er sich bekannt und da war ihm die Lust zur Flucht vergangen. Tags über kochten wir nur einmal Tee im Wald und aßen die trockenen Brotwürfel dazu. Aber uns begegneten einige Züge mit österr. Kriegsgefangenen, die zurück nach Sibirien fuhren, wie sie uns zuriefen, wir sollten auch umkehren. Am Sonnabend kamen wir an einen kleinen Bahnhof. Da sahen wir keine Wache. Es war sehr spät nachts und als ein Pers.Zug einfuhr, wollten wir auch wieder mitfahren (wir hatten uns als alte Russen verkleidet), aber da war nicht nur der Zug überfüllt, sondern die Dächer, die Puffer, ja selbst die Trittbretter waren voll Menschen. Trotzdem drängte sich Holfeld und wir rein. Aber früh morgens auf einer Station standen Wachsoldaten und holten alle Kriegsgefangenen raus, auch uns. Wir mußten uns in 2 Glieder aufstellen. Wir standen rechts. Es waren meist Österreicher. Der eine russ. Soldat ging immer rum. Es waren schon 70 - 80 Gefangene. Als er wieder an unser Ende kam, bat Holfeld ihn, austreten zu dürfen. Er erlaubte es. Wie Holfeld zu dem ca. 50 m entfernten Abort ging und der Soldat aufs andere Ende ging, sprang H. mit ein paar Sätzen dahinter in den Wald und weg war er. Als der Soldat wieder heran kam, bat Bork um Wasser zu trinken. Die Pumpe war in der Nähe vom Abort. Auch er erhielt die Erlaubnis und er machte es ebenso wie H. Nun war mir riesig angst, weil ich unter anderem viel Geld hatte, aber ich riskierte es auch und bat ihn um auszutreten und er erlaubte es auch. Da lief ich hinter den Abort bergab in den Wald, stürzte, schnell auf und weiter, bis ich die beiden in einem Gebüsch einholtet, Dann liefen wir alle 3 weiter bis wir den Zug abfahren hörten. Dann kochten wir Tee, aßen etwas und weiter ging es. Wieder blieben wir in einem Bauernhaus über Nacht, wo es etwas Milch u. paar Pellkartoffeln gab.

[9] Am nächsten Tag kamen wir schließlich an eine Wiese. Um den weiten Umweg zu sparen, gingen wir querdurch. Aber o weh, es war keine Wiese, sondern Moor (ca. 1 km breit). Man durfte keine Sekunde stehen bleiben, immer von einem Hügelchen zum anderen springen. Ich hatte uns allen lange Stiefel zur Reise gemacht, aber das Wasser kam oft von oben rein. Als wir endlich rüber waren, war ich und alle fast ganz naß. Nicht allein vom Wasser in den Stiefeln, sondern aus Angst vor dem Ertrinken. Drüben auf dem Berg war ein Bauerngehöft. Der gute Bauer machte uns gleich ein russiches Bad. Derweil wir im Bad waren trocknete er unsere Unterkleidung im Hause, dann gab man uns einen Topf Milch und paar Pellkartoffeln. Dann legten wir uns in die Scheune und schliefen im Heu bis zum nächsten Morgen.

Als wir dann weiter gingen, wollte Holfeld nicht mehr, nach einigem Streit ging er zurück, wohl zu der 1. Bauersfrau mit Tochter und ich mit Bork gingen allein weiter. Gegen Abend kamen wir an ein Dorf. In ein abseits liegendes Bauernhaus kehrten wir ein. Der Bauer war ein guter Mann. Er führte uns in die Scheune und. brachte frische Milch und jedem 2 Eier. Dann schliefen wir im Heu. Aber das Dorf war mit Militär belegt. Morgens kriegten wir wieder Milch und Pellkartoffeln. Morgens zogen die Russen weiter. Es war schon Frontnähe und wir gingen auch. Der Bauer zeigte uns einen anderen Weg. Trotzdem kamen uns erst 2 Soldaten, dann noch einer entgegen. Bork konnte etwas russisch). Er sagte denen wir gehen zur Arbeit bei einem Bauern und sie ließen uns schließlich gehen. Der zweite wollte uns ausrauben, vor allem Borks kostbare Uhr. Nach vielem Bitten ließ er sie ihm. Nachmittags trafen wir zwei Arbeiter. Bork sagte schließlich wohin wir wollten, darauf erboten sie sich, uns durch die Front zu bringen, wenn wir jedem 100 Rubel geben. Bork hatte kein Geld. Ich wollte nicht, doch auf vieles Zureden sagte ich zu. Aber erst, wenn wir durch die Russische Front sind, sollten sie das Geld bekommen. Vorerst gingen sie zu einer Versammlung und wir versteckten uns in einer Sandgrube. Derweil kamen andere Russen sahen uns und wollten uns dem Kommandanten übergeben. Nach vielem Betteln unserer zwei, sie versprachen, uns zum Bauern zu bringen, ließen sie uns frei. Gegen Abend nahmen uns die zwei in ihr Haus mit gaben uns paar Pellkartoffel und nachts 11.00 Uhr zogen wir alle 4 los. Es war stark finster. Schließlich sahen wir ca. 50 Meter links der Straße viele Biwakfeuer mit vielen Russen. Unsere 2 hatten uns befohlen, immer 50 m zurück hinter ihnen zu bleiben und bei Gefahr das heißt, wenn Militär kam, uns sofort rechts ins Gebüsch zu schmeißen. Da kam ihnen erst ein Posten zu Pferde entgegen. Nach kurzem Verhandeln ging es weiter und wir konnten raus aus dem Gebüsch. Nicht lange danach kam ein zweiter zu Pferde. Es war ein Offizier. Unsere zwei sagten ihm, sie wollten zu ihrem Schwager an der Düna (Fluß) Kartoffel holen. Der hat es ihnen wohl nicht geglaubt. Als wir dann heran kamen, weinten die beiden und gingen nicht weiter. Der Offizier hatte, ihnen mit einsperren und Tod gedroht. Nach vielem Betteln auch von Bork, ließ ich mich bewegen und gab jedem die 100 Rubel und wir gingen beide allein weiter. Zum Glück begegneten wir niemanden mehr. Wir kamen an einen ca. 100 m breiten Wald. Da gingen wir bergauf hinein. Ich war so müde von der Angst. Zu dem Schwager wollten die 2 uns hinbringen, der in dem Dorf an der Düna wohnte. Die Düna war die Grenze zwischen der russ. u. deutschen Front. Wir hörten, wie nachts die berittene Patrollie hin und her ritt am Waldrand. Beim Morgengrauen sahen wir, daß wir an der Düna waren. Nun ging ich rechts, Bork links ob da ein Kahn war oder jemand, der uns übersetzte.

[10] Drüben sahen wir deutsche Posten auf der Wiese. Endlich entdeckte ich einen großen Kahn umgekippt auf großen Pfählen am Ufer. Da winkte ich Bork und es gelang uns mit Mühe, ihn umzukippen und auf den Pfählen ins Wasser zu rollen. Ich nahm einen Pfahl als Ruder, Ich war bewandet im Kahnfähren. Bork hatte Angst, daß ich es nicht schaffe. Als wir auf dem Fluß waren (die Sonne ging auf), sahen wir, daß rechts von uns eine Brücke war. Daneben ein Haus. Auf der Brücke standen russische Wachposten. Aber einer legte das Gewehr auf uns an. Aber ein Offizier hielt ihn vom schießen zurück. Wir kamen rüber zwar etwas weiter. Ich zog den Kahn aus Ufer. Dann gingen wir zu dem deutschen Posten, der uns nach kurzer Ablösung mit zu seiner Kompanie brachte. Ca. 500 Meter weiter zu der kleinen Stadt Uhle, da lag auch das Regiment. Das war der 16. April 1918. Nachdem man uns gesättigt und viel ausgefragt und verhöhrt hatte, wurden wir von einer Etappe zur anderen mit dem Touragewagen gefahren bis wir schließlich mit der Bahn wieder nach Wilna kamen, von wo ich gefangen wurde. Sonderbar war auch, daß wir zu dem selben Regiment in Uhle ankamen, von dem ich am 2. Sept. 1915 in Gefangenschaft geriet.

Von Wilna wurden wir beide in das Quarantänelager bei Warschau für 8 Wochen geschickt, wo wir entlaust, desinfiziert usw. wurden. Auf meine Bitte wurden wir nach 6 Wochen entlassen, da uns die Raupen Tag und Nacht nicht in Ruhe ließen. Aber wir hatten nur 8 Wochen Urlaub. Ich fuhr durch Warschau über Thorn nach Bromberg, kam hier abends 10.00 Uhr an. Da kein Zug ging in meine Richtung, ging ich zu Fuß los und kam morgens um 5.00 Uhr zu Hause in Borken an. (im Juni) Da war nun allerhand Arbeit zurecht zu machen und die Ente einzubringen usw. Und die Freude der Frau und der Kinder war bald zuende. Die Ernte war noch nicht ganz beendet, da waren die 8 Wochen um und ich mußte mich wieder stellen am 21. Juli in Königsberg. Von da nach Gumbinnen geschickt sollten wir noch ausgebildet werden, aber der Spieß dachte anders. Er schickte mich mit drei Kameraden aufs Gut Blumberg zur Erntearbeit, wo ich 4 Wochen war, 2 Wochen davon nur mit der Sense gemäht, Korn usw.

Dann wurden wir abgeholt, neu eingekleidet und schon ging es am nächsten Abend mit der Militärkapelle zum Bahnhof in den Militärtransportzug über Berlin, Hannover wo wir verpflegt wurden und auf manchen Stationen noch Wagen mit Soldaten angehängt wurden. Doch je weiter wir nach Westen kamen, um so lehrer wurden die Wagen. Schließlich wurden wir in Frankreich auf einer Station ausgeladen, dann Fußmarsch bis St. Quentin. Da lagen wir 1 Tag und Nacht in der Kathedrale. Dann 2 Nächte in einer großen Spinnereifabrik, aber alles war kaputt. Dann waren Rückzugsgefechte. Es ging immer von einem Dorf oder Stadt zurück. Trotz Dunkelheit war es nachts noch hell durch das dauernde Trommelfeuer der beiderseitigen Artillerie. Man schickte da uns an die Front, doch der Hauptmann lehnte uns ab. Er meinte wir wären Bolschewiki. Es waren noch einige ehemalige Kriegsgefangene dabei. Ich wurde dann Komp. Schuhmacher und sollte nachts Essen an die Front tragen. Ich lehnte das ab. Es war kein Schützengraben nur Granattrichter, in denen die Soldaten lagen. Ende August waren wir in St.Quentin. Aber es ging immer mehr zurück auch über die sogen. Siegfriedstellung. Vor mir waren schon 3 Schuhmacher beim Essentragen in Gefangenschaft gekommen, daher lehnte ich entschieden ab.

Als der Kaiser zum Abdanken gezwungen war und die sozialdemokratische Regierung unter Ebert, Noske, Scheidemann usw. war, hatten diese Waffenstillstand geschlossen. Nun ging es fast alle Tage zurück.

[11]Da wurde alles abgelasen, Säcke mit neuem u. altem Schuhwerk u. Material, Säcke mit Uniformsachen und vieles mehr. Da lagen Geschütze, Munition, ja Wagen an den Straßen, magere Pferde liefen umher. Ein trostloses Bild war das. Ich war bei einem ost-preußischen Regiment 33. Die Ostpr. waren noch staatstreu. Endlich wurden wir bei Köln mit Dampfer über den Rhein gesetzt. Ich gehörte zur Quartiermachergruppe. Wir mußten immer nachts voraus gehen und Quartiere machen, ankreiden. Über Freudenberg, Godesberg, Siegen kamen wir schließlich nach Kassel, wo wir 50 Mark Entlassungsgeld be-kamen. Von da fuhr ich mit einigen Kameraden nach Schlesien über Leipzig, Dresden, Breslau, Posen, Bromberg nach Hause und kam 3 Tage vor Weihnachten 1918 zu Hause an.

Meine Lieben. Das ist in kleinen Umrissen mein Lebenslauf und Kriegserlebnisse. Ich habe nur die bedeutendsten Momente herausgegriffen.

Zu Hause hatte ich alles wieder in Ordnung zu bringen. Auch mit dem Handwerk ging es wieder gut, sodaß ich einen Gesellen beschäftigen konnte. Am 4. Nov. 1921 wurde dann Elfriede geboren und am 9. Nov. 1922 wurde Gertrud geboren.

Nun hatte der Kaiser dem Polen unsere Provinzen Schlesien, Posen und Westpreußen versprochen, dafür sollten sie ihm gegen Rußland helfen und die nahmen es nach und nach in Besitz. Da bildete sich der deutsche Grenzschutz, die kämpften dagegen, da aber die sozialdemokr. Regierung alle Unterstützung und Munition verweigerte, mußten sie sich schließlich zurückziehen. Die Polen nahmen nun alles in Besitz. Auch durch unsere Straße nach Culm (wir wohnten fast direkt an der Straße nur durch einen kl. Obstgarten getrennt) bewaffnet, mit gerade gemachten Sensen, Forken, Heugabeln usw. Ihnen voran zog der poln. Probst. Da hatten wir alle Angst und beschlossen auszuwandern, zumal wir Deutsche schikaniert wurden (z. B. durch Steuern, Elektrizitätssteuern, die es gar nicht gab. Den Stacheldraht vom Garten sollte ich abgeben, das Fahrrad mußte ich abgeben und bekam es nach einigen Wochen kaputt zurück, ja Einziehen wollte man mich sogar, um gegen Rußland mitzukämpfen. Auch, um die Kinder nicht polnisch lernen zu lassen zogen wir nach Deutschland. Nun fuhr ich mit dem Nachbar, Fr. Müller, im Spätherbst 1920 los auf Grundstückssuche nach dem Oderbruch, Landsberger Gegend. Doch alle Grundstücke gefielen mir nicht. Bei Landsberg kaufte ich 19 Morgen, weil es aber zu naß war, wie die Nachbarn sagten, verkaufte ich es wieder. Nach vielem Herumfahren kaufte ich schließlich das kleine Siedlergrundstück in Schwachenwalde, Krs. Arnswalde mit guten Gebäuden und 5 Morgen Acker u. 1 Mogen Wiese. Auch das Grundstück 24 Morg. in Greifenhagen Pommern gefiel mit nicht. Es waren lauter hohe Berge und Täler.

Nun mußte ich die Auswanderpapiere besorgen. Das Verzeichnis und Gesuch hatte ich schon an das Auswanderamt nach Posen geschickt, auch umgehend genehmigt zurückerhalten. Dann mußte ich die anderen Ausreisepapiere aus Culm besorgen. Wenn ich morgens früh 5.00 Uhr bei großer Kälte und Glatteis losfuhr mit dem Rad und hinkam, stand schon eine lange Schlange da und wartete auf die Papiere. Der junge Pole hatte nur von 8 bis 10 Uhr Dienstzeit. Um 10 Uhr machte er zu und man fuhr unerledigt wieder zurück. So mußte ich einige Wochen lang fast täglich (denn 4 Tage war nur Sprechzeit)hin und her fahren, bis ich endlich die Papiere hatte. Unser Grundstück in Borken hatten wir inzwischen an die polnische Amerika-Rückwanderin Mroß für 4000 Zlotti verkauft. Sie brachte nur 1 Sack mit Betten und ihre 2 kl. Jungens mit. Auf ihr vieles Bitten verkauften wir ihr einige Möbel.

[12] Aber diese nur für amerikanische Dollars (heimlich, denn es war verboten). Mit diesen Dollars fuhr ich über Dirschau nach Danzig. Danzig war Freistadt. In Dirschau (Grenzstadt) wurde man streng rewidiert. Fast ganz ausziehen mußte man sich. Ich mußte mir auch die Stiefel ausziehen, aber ich hatte die Dollarscheine in der Mütze versteckt. In Danzig ließ ich es in einer Bank umwechseln und an eine Bank in Landsberg überweisen. Von da an die Bank nach Woldenberg. Dort holte ich es ab und bezahlte damit das Grundstück in Schwachenwalde. Hier reichten die poln. Zloti umgewechselt nur par Wochen zum Lebensunterhalt. Da nun unsere Nachbarn erfahren hatten, daß wir einige Möbel verkauft hatten und diese doch auf Liste in Posen genehmigt waren, baten mich die Frau Majewske für ihren Jungen doch ein Bett mit rüberzunehmen und die Frau Fengler bat mich für ihren Mann drüben eine kleine Kiste mit Kleinigkeiten mitzunehmen. Durch meine dumme Gutmütigkeit hatte ich schon vorher Umstände und Schaden. Die raffinierte Frau bettelte solange bis ich ihren Jungen mit Gepäck im Winter zu ihrem Mann nach Krs. Zedenik über Berlin, wo gerade Eisenbahnerstreik war, und tiefer Schnee lag, (täglich fuhr nur ein Zug) über Löwenberg nach Zedenik, von da ca.10 km durch die Schorfheide bis zu ihrem Mann, der da ein Gasthaus gekauft hatte, brachte. Um 10 Uhr abends kamen wir dort an.

Da unsere Käuferin, Frau Mroß immer abends viel poln. junge Männerbesuche hatte und viel gespielt, getanzt, gejohlt usw. wurde, konnten die Kinder nicht schlafen und wir auch nicht. Deshalb zogen wir die letzten paar Tage noch nach Schlonz zu meinen Schwiegereltern. Dann bestellte ich einen Wagen in Damerau zum Bahnhof zum Verladen. Dann mußte ich den polnischen Reviesor aus Culm holen lassen zum revidieren und verblomben der Sachen. Dazu stellte Frau Fengler den Kutschwagen und sogar 2 Leiterwagen ihres Schwagers zum Sachen zum Bahnhof fahren, obendrein noch Schnaps, Butter und Zigarren für den Revisor. Da ich noch den letzten Tag in Culm zu tunhatte, hatte meine Frau in Schlonz alles eingpackt. Auch die Fengler und Frau Majewske hatten ihre Sachen da in den Schuppen gebracht.

Als nun der Revisor kam und das agebotene Frühstück ablehnte, kam mir das schon verdächtig vor und als wir zu den Sachen im Schuppen gingen und statt einer kleinen drei große Kisten sahen (ich hatte das ganze Verladegut vorher nicht gesehen), da wurde mir vor Schreck gans schwindelig. Er fragte, ob das alles meine Sachen sind und ich sagte ja. Dann machen Sie mal auf. Ich hatte weder unsere kleinen Kisten noch viel weniger die großen Kisten der Fengler vorher gesehen und auch nicht den Inhalt. Schon vorher sollte ich ihm sagen, was in den Kisten war. Ich konnte nur angeben was die Fengler erzählt hatte, nämlich alte Kleider, Schuhe, Pferde- u. Schuhputzzeug usw. außer diesen Sachen kamen aber ganz andere zum Vorschein, die überhaupt verboten waren mitzunehmen. Es waren in allen drei. Kisten Schinken, Würste, Speck von zwei gr. Schweinen, ferner Schmalz, Butter, kleine Säcke mit Mehl, Zucker, Grieß oder Grütze, Kaffee u.a. mehr.

>2 mal setzte mir der Reviesor die Pistole auf die Brust, weil ich ihn belogen hatte.

Die ganze Sache war von Frau Fengler ihrem Bürgermeister an den Revisor verraten worden, wie wir später erfuhren.

[13] Hätte ich nun von anfang an gleich gesagt, daß diese Sachen nicht meine sind. In meiner dummen Gutmütigkeit hoffte ich aber etwas davon zu retten. Nun aber revidierte er unsere Sachen auch und nahm aus unserer Kiste 2 Schinken, Würste Schmalz, Mehl, Butter usw. mit. Dazu die 6 Sparkassenbücher der Kinder mit einigen 100 Mark sowie ihr Silber- u. Nickelgeld. Dazu mein in Rußland gekauftes deutsches Geld über 120 Mark in 2-M-Stücken und einiges österreichiches und Türkisches Silbergeld, daß die Mutter auch leichtsinnigerweise in die Kiste eingepackt hatte. Und statt des einen Bettes der Frau Majewske hatte sie einen neuen Strohsack fest voll Betten gepackt, so daß 2 Männer daran zu tragen hatten. Ich hätte ihre Sachen nicht revidiert, wenn Sie gleich die Wahrheit gesagt hätten, sagte der Revisor. Zur Strafe wollte er mich verhaften. Ich mußte gegen abend mit dem Wagen, der ihn nach Culm brachte, mitkommen. Er hatte beide Manteltaschen des deutschen Militärmantels ganz voll Geld dazu die Sparkassenbücher in der Brusttasche. Als wir dann nach Scharnsee zu dem poln. Gendarmen kamen und die beiden sich unterhielten, sagte der Gendarm, den ich etwas kannte, gehen Sie man nach Hause Arndt, morgen früh komme ich dann verladen. Fenglers einer Leiterwagen mußte die drei Kisten und die Betten sowie unsere beschlagnahmten Waren nach Scharnsee zu dem polnischen Gendarmen fahren in dessen Scheune. (Er wohnte in einem früheren deutschen neuen kleinen Bauerngehöft. Es waren Werte von fast einer Million Zlotte, sagte der Revisor). Am anderen Morgen, als der Gendarm mit dem Rad kam, fuhr mein Schwager unsere wenigen Sachen zum Bahnhof. Dort plombierte der Gendarm den Wagen und ich mußte statt 4000 8000 Zlotti Standgeld zahlen, weil der Wagen länger gestanden hatte. Den anderen Morgen fuhren wir dann ab über Arnswalde nach Augustwalde. Von dieser Station holte uns ein Nachbar mit dem Wagen ab nach Schwachenwalde. Am anderen Tag mußte ich zu dem deutschen Grenzbahnhof, wo unsere Sachen noch revidiert werden sollten, was aber nicht geschah. Es war ein schlechter Dank der beiden Frauen, daß wir durch ihre Rafiniertheit auch noch unsere Sachen einbüßen mußten.

1928 machte ich die Meisterprüfung in Frankfurt an der Oder. In Schwachenwaldle ca. 700 Einwohner (Kreis Arnswalde Neumark) war ich nun der 5. Schuhmacher. Man sagte mir damit werden Sie hier keine Geschäfte machen, zumal wir auf der Siedlung ca. 500 Meter ab vom Dorfe wohnten. Aber nach einem halben Jahr war ich der alleinige Schuhmacher. Nicht billiger arbeitete ich, besser, gediegener und schnelle Lieferung. Da wollte ich mich vergrößern mit einem kl. Schuhgeschäft. Ein kleiner Bauer im Dorf mit neuen Gebäuden wollte mit unserem Grundstück tauschen. Daher machte ich meine Meisterprüfung. Aber meine Frau wollte nicht. Sie wollte ein großes Grundstück. Schließlich verkauften wir das Grundstück an eine Frau Sch. aus Bielefeld 1928. Während Hertha und Hilde da in Stellung waren, lernte Otto Gärtner in Blankenese und Karl lernte Stellmacher bei Meister Klein in Arnswalde, der mir auch den neuen Wagen komplett hierher lieferte. Durch einen Grundstücksvermittler in Bernstein Neumark erfuhr ich von diesem Siedergrundstück (Eigene Scholle) Nebelin Westprignitz (damals).

[14] Auf meine Frage, wie er hierher käme, sagte er, er stehe mit der Siedlungsgesellschaft Eigene Scholle in Verbindung. Ich fragte ihn ob er von der Gesellschaft bezahlt kriegt, sagte er ja, er wird bezahlt. Da gab ich ihm nichts. Wie wir dann im August 1928 kaum hergezogen waren, kam der Gerichtsvollzieher und hat hier Hildes, Emmis neue Fahrräder und meine Rolle Sohlleder versiegelt, das mir der Lederhändler in Arnswalde noch aufgedrängt hatte.

Gleichzeitig erhielt ich einen Gerichtstermin. Ich fuhr nun zum Amtsvorsteher nach Premslin und sagte ihm das. Da Sie noch nicht eingetragen sind in das Grundstück, sagte er, kriegen Sie einen Armenschein. Da ich nicht nach Arnswalde zum Termin fahren konnte, fuhr ich nach Perleberg zu Rechtsanwalt Althaus und übergab ihm das, aber er sagte, Sie müssen trotzdem 100 Mark, hier am Gericht hinterlegen, damit ihre Sachen freigegeben werden. Die wurden dann auch frei. Althaus übertrug seine Vertretung auf meine Nennung dem Rechtsanwalt Beier in Woldenberg Neumark. Inzwischen wurde die Sache von Arnswalde nach Woldenberg verlegt. Nach einigen Terminen mußte ich aufs Gericht nach Woldenberg kommen. Da mußte ich den Eid leisten, daß der Grundstücksmakler zu mir gesagt hatte, er kriegte bezahlt von der Siedlungsgesellschaft, da wurde er kostenpflichtig abgewiesen. Aber als der Gerichtsvollzieher bei ihm kam, gehörte das Mobiliar seiner Frau. Die hatte sich inzwischen von ihm Scheiden lassen und war zu ihrer Schwester nach Hamburg gezogen. Den Gerichtsvollzieher in Hamburg beauftragt ergab, das das Möbel ihrer Schwester gehörte und ich bekam von meiner Kaution kaum den dritten Teil zurück. Von hier aus eine weitere Klage wollte ich nicht.


Der Ernst lernte dann Schmied bei einem Meister in Havelberg. Nach 3-jähriger Lehrzeit arbeitete er eine Zeitlang als Geselle. Um das damals teure Meisterprüfungsgeld zu sparen, meldete er sich freiwillig zum Militär Artillerie (Fahnenschmied), wurde aber stattdessen bei den Fliegern (Bodenpersonal) eingestellt.

Als der wahnsinnige Hitlerkrieg losging, war er Unteroffizier, wurde schließlich Oberfeldwebel und nach Schluß des Krieges auf dem Transport in russische Gefangenschaft durch Österreich im Bahnwagen ohne jede Ursache mit einem Unteroffizier erschossen.

Auch Otto wurde bald zu Anfang eingezogen und kam dann zu einer Sanitätskomp. Er war dort Fahrer und wurde Obergefreiter. Am 25. 4. starb er durch eine russ. Fliegergranate, während er auf der Wiese mit einem Fohlen spielte.

Karl und Hildes Mann, Willi Peter, beide waren bei der Bahn beschäftigt, wurden noch paar Wochen vor Kriegsende eingezogen. Über deren Verbleib wissen wir nichts, wahrscheinlich sind sie in Schlesien, wohin sie kamen, erschossen worden.

Karl war seit 9.5.40 verheiratet, Hildegard seit 29.10.51. Emmi seit 20.2.43.


Meine Lieben, wie wir dann nach dem 1. Mai 1945 von allem befreit wurden, will ich hier nicht beschreiben, das wissen wir älteren alle selbst.


 

HEIM@THORN Editorial - Inhalt Die Thorner Stadtniederung - Inhalt Das Buch - Inhalt
Quelltexte - Inhalt Anhang - Inhalt Die Links Mein Thorn
Julius Arndt, Guttau: Mein Lebenslauf 

© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 13.03.2004