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Horst Ernst Krüger:


Die Geschichte einer ganz normalen
Familie aus Altthorn in Westpreussen


kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger


Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text

Kooperation

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang in der Originalausgabe, die dem Herausgeber vorliegt.

Hinter dem eröffnen sich genealogische Zusammenhänge in Bezug auf die betreffende Person.

Falls Sie sich den Originaltext, um den es an der so bezeichneten Stelle geht, ansehen wollen, so werden Sie hier fündig.

Mit diesem Zeichen weist der Herausgeber dieses Dokuments auf Bemerkenswertes hin und

mit diesem Zeichen macht er auf Fragen aufmerksam, die sich ihm zu dem jeweiligen Text gestellt haben.

Hier erwartet Sie ein Schwarz-Weiss-Foto und hier eine solches in Farbe.

Und falls Sie mehr über die soKurzbiographie gekennzeichnete Person erfahren wollen, finden Sie hier eine Kuzbiographie.

[126] Meine Eltern waren die erste Generation meiner bäuerlichen Vorfahren, die sich über die psychische Isolierung ihres Standes hinweggesetzt hatte. Damit ging die Pflege von Kontakten und Freundschaften einher, die über die Berufsschranken und engen räumlichen Begrenzungen hinweg reichten. Bei den wöchentlichen Sitzungen des Vorstands der Vereinsbank in Thorn hatte mein Vater engere Beziehungen zur Familie Hentschel angeknüpft. Sie betrieb in Thorn eine Großgärtnerei, die von Vater und Sohn, zwei dynamischen Unternehmern, geführt wurde. Ich erinnere mich noch daran, wie beide das erste Mal mit ihrem Auto bei uns vorfuhren und sich mit meinem Vater auf der Veranda unterhielten. Von ihren Gesprächen, die wirtschaftliche und politische Fragen zum Inhalt hatten, verstand ich nur wenig. Es interessierte mich aber sehr, was Vater und Sohn Hentschel mit meinem Vater zu besprechen hatten. Max Hentschel, der gegenwärtige Geschäftsinhaber, kam im folgenden Sommer oft zu uns. Meine Mutter und meine Schwester Ursula deckten, wenn es Kaffeezeit war, den runden Tisch auf der Veranda. Herr Hentschel trank dann gerne eine Tasse Kaffee mit uns allen zusammen. Die Herren, ich gehörte damals noch nicht dazu, tranken auch ein Glas Weinbrand dazu. Diese Nachmittage auf der Veranda waren ein großer Gewinn für meinen Vater, denn es wurden Fragen besprochen, die weitreichende Veränderungen auf unserem Betrieb nach sich zogen.

Die Gärtnerei Hentschel unterhielt enge Kontakte zu damals führenden holländischen Gartenbaubetrieben. Was meinen Vater an der Firma Hentschel faszinierte, waren ihre beherrschende überregionale Marktstellung und die Verkaufsmethoden für ihre Produkte. Ich habe viele Gespräche mit anhören dürfen, die zwischen Max Hentschel und meinem Vater geführt wurden. Wenn ich deren Inhalt nach fast fünfzig Jahren wiederzugeben versuche, so tue ich das, weil sie erzählenswert sind.

[127] Mein Vater: Sie wissen, daß der ostdeutsche Bauer konservativ ist. Er hält an dem fest, was sich bewährt hat, ist aber allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, wenn es zu einer Verbesserung seines Hofes führt. Ihre Vorschläge würden die Organisation meines Betriebes auf den Kopf stellen. Sie gehen mir zu weit. Ich bin für eine Zusammenarbeit, aber die Kirche muß im Dorf bleiben.

Max Hentschel: Sie bewirtschaften, wenn ich mir als Gärtner dieses Urteil erlauben darf, Ihren Betrieb zwar intensiv und in der überlieferten Organisation auch erfolgreich, aber mit Ihren Produkten konkurrieren Sie mit allen anderen landwirtschaftlichen Betrieben der Niederung. Sie betreiben alle Ackerbau und Viehzucht. Was Sie tun sollten? Gärtnerischen Erzeugnissen gehört die Zukunft: Gemüse, Obst, Pflanzen, Blumen. Dafür gibt es einen unbegrenzten Markt in Polen und in der Freien Stadt Danzig. Ich habe diesen Markt erschlossen und kenne die Absatzwege. Holland ist uns in der Vermarktung von Frischgemüse und Blumen weit voraus. Sie haben Land, und ich habe den Markt. Ich könnte sehr viel mehr Produkte absetzen, als ich in meinen Gewächshäusern und auf meiner Freifläche in Thorn erzeugen kann. Wir beide sollten zusammenarbeiten.

Mein Vater: Mein Betrieb ist ein Organismus. Durch die Rindviehhaltung steigere ich die Bodenfruchtbarkeit. Sie ist die biologische Grundlage meines intensiven Ackerbaues. Meine Kühe geben nicht nur Milch, ich liefere täglich zwischen dreihundert und vierhundert Liter ab. Das ist meine laufende Einnahmequelle, die ich eher steigern als einschränken möchte. Die Kühe und ihre Nachzucht benötigen die von mir intensiv bewirtschafteten Wiesen und Weiden. Dazu kommt noch ein Teil des Ackers, der ebenfalls als Futtergrundlage für die Rindviehhaltung dient. Wenn ich Ihren Vorschlägen folge, dann säge ich mir den Ast ab, auf dem ich sitze.

Max Hentschel: Mein Betrieb ist auch ein Organismus. Er reagiert auf nachlassende Fruchtbarkeit der Böden und auf Pflanzenkrankheiten viel empfindlicher als die Landwirtschaft. Was das anbelangt, sprechen wir die gleiche Sprache, [128] ich verstehe Sie sehr gut. Die Herstellung eines gesunden Bodens, die Bekämpfung der Pflanzenkrankheiten, die Bewässerung und die Düngung verursachen bei mir hohe Kosten. Sie könnten mir doch mit Stallmist gedüngten Boden zur Verfügung stellen, auf dem ich meine gärtnerischen Produkte anbauen kann.

Mein Vater: Wie stellen Sie sich das vor? Soll ich Ihnen meinen Betrieb verpachten? Ich glaube nicht, daß Sie mir soviel Pacht bezahlen können, wie ich jetzt an Gewinn je Hektar erwirtschafte.

Max Hentschel: Das sicher nicht. Wenn ich Zusammenarbeit anbiete, so soll sie für uns beide von Nutzen sein. Ich bringe mein Fachwissen ein, stelle Ihnen meine Facharbeiter zur Verfügung und sorge für die Vermarktung unserer Produkte. Sie stellen den Boden, der sich für gärtnerische Erzeugung eignet und der mit Stallmist abgedüngt ist. Es muß sich doch ein Weg finden lassen, wie wir die Produktionsmittel entlohnen, die jeder von uns in diese Kooperation einbringt.

Mein Vater: Das ist der springende Punkt. Für mich gibt das nur einen Sinn, wenn Arbeit, Boden und Kapital in der gärtnerischen Produktion einen größeren Nutzen erbringen als in meinem landwirtschaftlichen Betrieb, so wie ich ihn aufgezogen habe. Das dürfte gar nicht so leicht sein, denn ich habe meinen Betrieb ins wirtschaftliche und biologische Gleichgewicht gebracht.

Max Hentschel: Dem möchte ich entschieden widersprechen. Stellen Sie sich bitte vor, welchen Umsatz und welchen Gewinn ich auf meiner kleinen Bodenfläche mache. Wenn Sie den Gartenbau auf Ihrem Hof meinem Rat folgend erheblich ausdehnen, können Sie die Bodenproduktivität und den Gewinn ganz wesentlich steigern.

Mein Vater: Das muß aber schon erheblich zu Buche schlagen, denn der Nutzen, den ich jetzt auf den Flächen habe, auf denen ich zukünftig Gartenbau betreiben soll, würde dann ja wegfallen.

Max Hentschel: Sie sollen überhaupt nichts. Sie sind freier [129] Unternehmer, ebenso wie ich. So kommen wir uns nicht näher.

Mein Vater: 0 doch! Ich bin nicht ein so sturer Bauer, wie das scheinen mag. Beim Geld hört aber die Gemütlichkeit auf. Ich muß mir Ihren Vorschlag noch einmal in Ruhe überlegen, dazu brauche ich einen kühlen Kopf und einen Rechenstift. Wenn die Zusammenarbeit für uns beide einen Nutzen bringt, dann bin ich der letzte, der nein dazu sagt. Bevor ich aber ja sage, müssen die Voraussetzungen geklärt sein, zu denen ich den Boden und Sie Ihre Fachkenntnisse zur Verfügung stellen.

Max Hentschel: Ich komme schon bald wieder, um mir Ihre Entscheidung abzuholen.

Mein Vater: Warum haben Sie es so eilig? Sie hätten zur Erweiterung Ihrer gärtnerischen Produktion doch noch ganz andere Möglichkeiten.

Max Hentschel: Möglichkeiten sagen Sie? Welche Möglichkeiten, welche Alternativen meinen Sie?

Vater: Die politische Lage von uns ostdeutschen Bauern in Polen ist alles andere als rosig. In mehreren Familien haben die Hoferben für das Reich optiert, sind ausgewandert oder ausgewiesen worden. Hier in der Niederung stehen deswegen mehrere Höfe zum Verkauf an. Es fehlen zahlungsfähige deutsche Interessenten.

Max Hentschel: Nein, nein. Damit habe ich es nicht so eilig Ich möchte erst gärtnerische Erfahrungen unter den klimatischen und bodenmäßigen Bedingungen der Niederung sammeln. Lassen Sie uns beide zusammenarbeiten.

Mein Vater: Ich überlege es mir, muß erst kalkulieren und gebe Ihnen dann eine klare Antwort.

In betriebswirtschaftlichen Angelegenheiten war mein Vater vorsichtig. Deswegen hatte er in der Folgezeit ein Konzept für die Zusammenarbeit mit der Firma Hentschel entwickelt, das eine Kapitalverflechtung ausschloß. Die Firma Hentschel sollte eine größere Fläche gedüngten Bodens pachten. Auf ihr sollten Gladiolen für den Frischblumen- und Zwiebelver[130]kauf angebaut werden. Die Vorbereitung des Ackers wollte mein Vater mit seinen Arbeitskräften durchführen. Die Beschaffung des Pflanzgutes aus Holland und alle Arbeiten bei Anbau, Pflege, Ernte und Absatz sollte die Firma Hentschel mit ihren Arbeitskräften erledigen. Die Arbeiten, die von unserem Betrieb durchgeführt wurden, sollten bewertet und von Hentschel außer dem Pachtzins bezahlt werden. Außer dem Gladiolenanbau sollte die Firma Hentschel im Rahmen dieser Zusammenarbeit meinen Vater bei der Anpflanzung einer Obstplantage beraten. Diese Anlage sollte so geplant werden, daß die gesamte Fläche unter den Obstbäumen gärtnerisch genutzt werden kann. Das Saatgut, die Pflanzen und die Obstbäume sollten von Hentschel geliefert werden. Die Obstplantage und der Gemüsebau sollten auf Rechnung meines Vaters betrieben werden. Max Hentschel wurde dieses Konzept vorgelegt, er stimmte ihm zu.

Es dauerte zwei Jahre, bis die Planung verwirklicht war. Die Organisation unseres Betriebes wurde daraufhin umgestellt. Eine Obstplantage wurde auf einem Ackerstück unmittelbar am oberen Kanal angelegt. Solange die Bäume noch klein waren, wurden auf der gesamten Fläche Gladiolen für den Verkauf von Schnittblumen und Zwiebeln angebaut. Als die ersten Blüten an den langen Stengeln aufgebrochen waren, belebte ein großer Farbfleck das Landschaftsbild der Niederung. An diesem Anblick konnten wir uns nur wenige Tage erfreuen, denn die Gladiolen wurden geschnitten, wenn die untersten zwei Blüten aufgebrochen waren. Die Arbeitskräfte der Firma Hentschel verluden sie täglich auf einen Lastwagen und fuhren sie nach Thorn, von wo aus sie auf dem schnellsten Wege zu den Blumengeschäften gebracht wurden.

Die enge zwischenbetriebliche Zusammenarbeit führte zu einem freundschaftlichen Kontakt der beiden Familien. So wurden meine Eltern und meine beiden Schwestern eines Tages zur Feier der Goldenen Hochzeit der Eltern von Max Hentschel eingeladen. Ursula erzählte später einmal begeistert ihre Eindrücke von dem ihr unvergeßlichen Erlebnis. Etwa sechzig [131] Gäste waren erschienen. Die Tafel war mit erlesenem, altem Porzellan und Silberbesteck gedeckt. Sie stand in einer riesigen Halle, an deren Außenwände ringsherum große Blattgewächse aufgestellt waren. "Der Blumenschmuck der Tafel war unbeschreiblich schön. So einen fantastischen Anblick vergißt man nicht" sagte Ursula.

Max Hentschel baute bei uns zwei oder drei Jahre Schnittblumen an. Während dieser Zeit hatte er zwei Höfe in Gurske gekauft. Die Kulturen wurden dorthin verlagert. Die dadurch frei gewordene Fläche nutzten meine Eltern gärtnerisch. Sie bauten dort Erdbeeren, Rhabarber und Sämereien für den Thorner Markt an. In der Erntezeit ratterte jeden Morgen ein voll beladener Gemüsewagen vom Hof und brachte unsere Gartenerzeugnisse zum Laden des Deutschen Hausfrauenvereins und zu den verschiedenen Konditoreien nach Thorn.


 
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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 28.10.2007