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Wappen der Familie Krüger aus Thorn

Horst Ernst Krüger:


Die Geschichte einer ganz normalen
Familie aus Altthorn in Westpreussen


kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger

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Neuorientierung in veränderter Lage

 

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[67]Die politische Geschichte zwischen den beiden Weltkriegen ist allgemein bekannt. Ich will sie nur kurz streifen, wenn sie unübersehbar auf unsere Familie eingewirkt hatte. Nachdem mein Vater gegen Kriegsende aus dem Lazarett entlassen worden war, herrschte in Thorn das Chaos. Die deutschen Einwohner der Stadt veranstalteten eine Massendemonstration nach der anderen gegen die Übergabe der Stadt an Polen. Mein Vater beteiligte sich an ihnen. Die Eindrücke, die er dabei gewonnen hatte, müssen ihn wohl dazu veranlaßt haben, zu sagen: "Meine Familie ist wie ein Drama. Die fünf Akte jeder klassischen deutschen Tragödie sind meine fünf Kinder." Die ältesten drei, Werner, Ursula und Hans-Joachim, sind noch vor dem Ersten Weltkrieg geboren worden. Meine Schwester Edith ist ein Kind der Urlaubsliebe, und ich habe als Nachkömmling fünf Jahre später das Licht einer unsicher gewordenen Welt erblickt.

Wenn ich versuche, mir vorzustellen, warum meine Eltern das Wagnis, ihr Drama zu spielen, eingegangen sind, so komme ich zu dem Ergebnis: Es war ihr unerschütterliches Gottvertrauen. Nach ihrem evangelischen Religionsverständnis, wonach kein Sperling vom Himmel fällt, wenn der Liebe Herrgott es nicht will, haben sie die Bühne betreten und ihre Rolle gespielt. Mein Vater war dank der Leistungen seines Vaters ein mittelständischer Unternehmer, der über fündundsiebzig Hektar guten Niederungsboden und einen beachtlichen Viehbesatz verfügte. Das preußische Agrarsystem hatte den Ersten Weltkrieg überlebt. Es beruhte auf den zwei Grundsätzen: Eigentum an den Produktionsmitteln und freie Marktwirtschaft, die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges durch Bismarcks Schutzzollpolitik abgeschirmt war. Der geistige Angriff auf dieses System wurde von den revolutionären Sozialisten, Marxisten und Leninisten geführt. Mit ihnen hatte sich mein Vater auf dem Thorner Marktplatz auseinandergesetzt. Er kannte ihre Parolen und die revolutionäre Strategie von Lenin, die schließlich in der Oktoberrevolution in [68] Rußland siegreich war. Lenin hatte schon während des Ersten Weltkriegs in seinem Schweizer Exil die Umformung des imperialistischen Krieges, wie er es sah, in einen Bürgerkrieg geplant. Sein Ziel war es, die proletarische Revolution, genauso wie sie im Kommunistischen Manifest von Marx und Engels(10) beschrieben ist, in praktische Politik umzusetzen. Die Massen, so das "Manifest", würden von den Eigentümern der Produktionsmittel ausgebeutet. Der bürgerliche Staat sei eine organisierte Macht einer Klasse zur Unterdrückung der Mehrheit durch die Minderheit. Das Proletariat, so fährt das "Manifest" fort, würde die Bourgeoisie gewaltsam verdrängen; die revolutionäre Bewegung werde von einer ungeheuren, immer stärker verarmenden Mehrheit getragen.

Das Proletariat werde die herrschende Klasse besiegen und die Demokratie erobern. Durch die Diktatur des Proletariats werden die auf privater Aneignung beruhenden Produktionsbedingungen "despotisch" beseitigt. Der bürgerliche Staat müsse verschwinden und einer Gesellschaft weichen, in der "die freie Entfaltung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist".

Der Hegel'sche Idealismus wurde hiermit durch eine materialistische Geschichtsbetrachtung abgelöst, nicht mehr Idee und Gegenidee werde in der Zukunft die Weltgeschichte fortbewegen. Die Bedingungen, unter denen die Menschen leben, einschließlich ihrer politischen Ordnung und Kultur, werden demnach nur dadurch geprägt, in welchem System sie leben. Alles Geistige, so meinte Marx, sei letztlich von den Produktionsbedingungen abhängig, und mit ihrer radikalen Veränderung würden sich die Vorstellungen der Menschen von Sittlichkeit und Recht umformen. Das Manifest endet mit einer Vision. Wenn die Produktionsmittel vergesellschaftet werden, das Sein verändert wird, dann würden paradiesische Zustände eintreten.

Mein Vater wußte, einen wie großen Fehler der deutsche Generalstab gemacht hatte, als er auf Befehl der Deutschen Regierung Lenin die Durchreise aus der Schweiz nach Rußland ermöglichte. Er wußte auch, daß in einem kommunistischen [69]Polen er als bäuerlicher Unternehmer zum Staatsfeind, zum Kulaken, erklärt worden wäre. Polen wurde unter dem Schirm der siegreichen Westmächte als Republik konstituiert. Der junge demokratische Staat besiegte 1920 unter dem militärischen Oberbefehl von Marschall Joseph Pilsudski die Rote Armee. Es gelang der Sowjetunion nicht, die Revolution nach Polen zu exportieren. Auch in Deutschland konsolidierte sich die Weimarer Republik unter sozialdemokratischer Führung.

In den ehemals preußischen Gebieten, nur die interessieren uns, blieb das erfolgreiche ökonomische System, das mit den Agrarreformen auf gesetzlichem Wege eingeführt worden war, vorerst bestehen. Wir sind zwar Auslandsdeutsche geworden, sagten sich meine Eltern, aber wenn Polen ein Bollwerk gegen die Sowjetunion ist, wird es möglich sein, in diesem Land zu leben. Die Entscheidung gegen die Option meiner Familie für Deutschland haben sich meine Eltern nicht leicht gemacht. Mein Vater hat viele Gespräche mit seinen Geschwistern, Schwägern und Nachbarn geführt, ob es für die Zukunft vorteilhafter sein würde, mit der Option die deutsche Staatsbürgerschaft zu behalten oder polnischer Staatsbürger deutscher Nationalität zu werden. Er und seine Gesprächspartner müssen geahnt haben, daß die Polen ihr Staatsbürgergesetz mit der liberal erscheinenden Optionsmöglichkeit für Deutschland als Waffe gegen die deutsche Minderheit ausnutzen könnten. Das haben sie in beispielloser nationalistischer Verblendung später auch getan und diejenigen, die in diese Falle hineingegangen waren, kurzerhand ausgewiesen. In welchem europäischen Rechtsstaat hat es jemals so etwas gegeben? Die sozialistische Gefahr für unsere Familie war vorerst gebannt, aber die zweite Ideologie des 19. Jahrhunderte wurde ihr zwischen den Weltkriegen zu einer gefährlichen Bedrohung: der polnische Nationalismus. Mein Vater hatte sich mit meinen Onkeln und Tanten abgestimmt. Sie wollten den Existenzkampf, der ihnen bevorstand, auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Kultur austragen. Auf dem Felde der Politik waren [70] ihnen sämtliche Möglichkeiten genommen, in einem seit 1926 von Marschall Pilsudski autoritär regierten Polen Einfluß auszuüben.

Das Drama begann. Die Akteure meiner Familie waren alle von der kommunalen bis zur staatlichen Ebene politisch entmündigt. In dieser Zeit hatte mein Vater die geistige Führung unserer Familie und darüber hinaus der gesamten Sippe übernommen. Er war der Meinung, daß in der Lage, die durch den Versailler Friedensvertrag entstanden sei, man einen klaren Kopf behalten müsse und sich keinen Illusionen über unsere Zukunft hingeben dürfe. Man habe damit zu rechnen, daß die polnische Staatsmacht in allen Lebensbereichen der Familie wachsenden Einfluß ausüben werde. Die Verfassung sehe einen gewissen Minderheitenschutz vor. In ihrem Artikel 109 sei sogar eine Gesetzgebung vorgesehen, die allen Minderheiten, somit also für vierzig Prozent der Bevölkerung Polens, ermöglichen sollte, Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Verbände zu gründen und selbst zu verwalten. Damit würde, diese Ansicht vertrat mein Vater, auch die deutsche Minderheit die Möglichkeit erhalten, rechtlich abgesicherte Trägerorganisationen für ihre Kirchen, Schulen, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Vereine zu gründen. In dem gleichen Artikel der Staatsverfassung wurde den Minderheiten der freie Gebrauch ihrer Sprache und die freie Religionsausübung zugesichert. Auch auf den Völkerbund setzte mein Vater gewisse Hoffnungen, denn der hatte am 28. Juni 1919 einen Minderheitenschutzvertrag mit Polen abgeschlossen. In ihm verpflichtete sich die Republik Polen, allen Staatsbürgern ohne Unterschied der Rasse, Sprache und Religion den gleichen Schutz der Freiheit, der politischen Rechte, insbesondere auch die Zulassung zu öffentlichen Ämtern, und die Ausübung der verschiedenen Berufe und Gewerbe zu gewähren. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kontrahenten dieses Vertrags, dem Genfer Völkerbundsrat und Polen, sollte der Schiedsgerichtshof in Den Haag entscheiden.

Würden, so fragte mein Vater in endlosen Gesprächen mit den Nachbarn und in der Familie, diese rechtlichen Normierungen [71] ausreichen, die im polnischen Staat willkürlich zusammengespannten, widerstrebenden Interessen der Minderheiten, Religionen und Klassen zum friedlichen Ausgleich zu bringen? Polen hatte in seiner ganzen Geschichte noch nicht den Beweis erbracht, daß es dazu in der Lage sei. Er wußte, daß die grundbesitzende Aristokratie im Königreich Polen ein ebenso despotisches Regiment in ihren Grundherrschaften geführt hatte wie der russische Adel bis zur Oktoberrevolution. In den ehemals russisch und österreichisch beherrschten Teilgebieten konnten sich infolgedessen ein selbständiger Mittelstand und selbstbewußte bürgerliche und bäuerliche Familien nicht behaupten. Wie sollte dieser Agrarstaat jemals seine Rückständigkeit überwinden, wenn übermächtige Grundherren mehr und mehr die öffentlichen Ämter besetzten und die Bauern ein kümmerliches Dasein in Ihren Zwergbetrieben fristeten? Würde Polen die Kraft haben, durch Reformen sein Wirtschafts- und Agrarsystem auf einen modernen, dem 20. Jahrhundert gemäßen Stand zu bringen? Die sorgfältige Analyse der Lage hatte meinem Vater die Schlußfolgerung nahegelegt, daß wir uns in das Private des familiären und betrieblichen Lebens zurückziehen. Er sagte, es sei das Klügste, was man tun könne, alle Energien auf die Entwicklung des Hofes zu konzentrieren. Der mit dieser seiner grundsätzlichen Entscheidung eingeleitete Prozeß wurde unter seiner Leitung in den 20er Jahren konsequent durchgeführt. Wir wurden zu unpolitischen und unideologischen Menschen erzogen, genauso wie er es war. In unserem Bewußtsein identifizierten wir uns eigentlich nur noch mit der Familie, dem Hof, den Menschen, die auf ihm arbeiteten, und den Nachbarn aus der Niederung. Der Staat hatte die zugesicherten Gesetze nie erlassen, mit denen die deutsche Minderheit ihre Angelegenheiten im öffentlich-rechtlichen Bereich in die eigenen Hände hätte nehmen können. Er konnte eine solche Entwicklung auch nicht zulassen, denn dann wäre er in staatsähnliche Körperschaften der einzelnen Minderheiten zerfallen. Man könne, sagte mein Vater, nicht damit rechnen, daß dieses von den Siegermächten des [72] Ersten Weltkrieges geschaffene, künstliche Gebilde mit seinem Korridor durch das deutsche Staatsgebiet hindurch und seiner West- und Ostgrenze, die ethnische Gesichtspunkte unberücksichtigt ließen, sich zu einem stabilen Rechtsstaat entwickeln würde. Diese seine skeptische Einstellung zum polnischen Staat übertrug sich auf die gesamte Familie. Sie steigerte sich sogar zum Widerstand, als die staatlichen Organe dazu übergingen, die deutsche Minderheit wirtschaftlich und kulturell zu schwächen.

Mein Vater sagte einmal: "Was die politischen Mächte uns einmal an Eigentum und Vermögen nehmen werden, wissen wir nicht. Darum lernt, lernt, denn unser Wissen und Können kann uns niemand nehmen." Nach einer guten Allgemeinbildung im Thorner Gymnasium, seiner Söhne möglichst bis zum Abitur und seiner Töchter bis zur Mittleren Reife, sollte jeder seinem Berufswunsch entsprechend eine gründliche, praktische Ausbildung erhalten. Es war seit eh und je überlieferte Familientradition, daß nur ein Kind den Hof ungeteilt erbt. Diese Sitte wollte auch er beibehalten. Die Rollen, die wir Kinder in dem Familiendrama zu spielen hatten, wurden von ihm festgelegt, und wehe dem, der sie nicht gründlich einstudiert hatte.

Die Ziele, die mein Vater uns steckte, mußten erreicht werden, komme, was da wolle. Je mehr Widerstände sich ihnen entgegenstellten, umso beharrlicher mußten wir gegen sie angehen. Sein Lieblingsbaum war die Eiche. Geschmeidig wie eine Weide war er nicht, die sich biegt, wenn der Sturm darüber hinweggeht, und sich wieder aufrichtet, wenn er vorbei ist. Ein geflügeltes Wort der Familie in dieser Zeit war: "Was stört es eine deutsche Eiche, wenn sich ein Borstentier dran scheuert." An Selbstbewußtsein und Standfestigkeit hat es uns nicht gemangelt, meinen Großeltern nicht, meinen Eltern noch viel weniger. Sie haben den unternehmerischen Spielraum, den uns unser großer Hof einräumte, voll genutzt. Unser Fehler war: Wir haben die Macht und die Bösartigkeit unserer Feinde unterschätzt. Bevor wir sie in ihrer ganzen Tragik erkannten, brach über meinen Vater eine [73] Flut von Zweifeln herein. Sein Leben war bis zum Kriegsende eine einzige Kette von persönlichen Siegen. Nun nach der Niederlage des Reiches fand er sich in einem Vielvölkerstaat mit polnischer Mehrheit wieder. Siege machen hochmütig. Hochmut und Stolz machen dumm. An Niederlagen reift der Mensch mehr als an Siegen. Mein Vater hatte in diesen ersten Nachkriegsjahren eine ungeheure Fülle von Zweifeln philosophisch zu verarbeiten. Gewiß: Familie und Betrieb waren da und forderten seinen täglichen Einsatz. Die Gedanken über die Existenz seiner Mitmenschen ließen ihn jedoch nie los. Es gab immer Zeiten, an Feiertagen oder an den langen Winterabenden, in denen er in Gesprächen mit Kriegskameraden, befreundeten Nachbarn und mit seiner Familie die politische Lage nüchtern analysierte. Dabei kam er zu der persönlichen Schlußfolgerung, daß sein Handeln sich nicht allein in Familie und Betrieb erschöpfen dürfe. Er war zwar aller politischer Rechte beraubt; aber das Recht, sich für den landwirtschaftlichen Berufsstand zunächst in der Niederung und später im gesamten Korridor mit aller Kraft einzusetzen, konnte man ihm nicht nehmen.

Er wurde in diesen Jahren eifriger Leser der Ostdeutschen Monatshefte, die von seinem Kriegskameraden und Freund Carl Lange in Danzig herausgegeben wurden. In vollkommener Übereinstimmung mit der redaktionellen Linie dieser Zeitschrift wurden bei ihm auch Zweifel über die historischen Rechte Deutschlands im europäischen Osten wach. Es wurde ihm fernab von jeglichem preußischen Hurrapatriotismus bewußt, daß Osteuropa diesseits der Oder und in manchen Epochen sogar schon östlich der Elbe völkisches und kulturelles Mischgebiet war. Die Deutschen hatten im Mittelalter den slawischen Einfluß zurückgedrängt und besonders die Polen durch ihre überlegene Kultur für Europa gewonnen. Es sei nicht so gewesen, sagte er häufig, daß die Deutschen mit Feuer und Schwert in den Osten vorgedrungen waren. Ihre Leistungen auf dem Gebiet des Rechts, des Handels, des Handwerks und der Landwirtschaft wurden von den polnischen Fürsten [74]geschätzt. Sie hätten die Deutschen aus diesen Gründen vielfach aufgefordert, an der Entwicklung und Pflege ihrer Herrschaftsgebiete mitzuarbeiten. Auf diese Weise sei die deutsche Kultur ausgehend von den Städten weit in den slawischen Osten vorgedrungen. Das sei ein friedlicher Prozeß gewesen, der über viele Jahrhunderte vor sich gegangen war. Auch konnte weder das deutsche Volkstum noch die deutsche Kultur bei dieser wechselseitigen Durchdringung sich den Einwirkungen des Slawentums enthalten. Das Ergebnis dieser vielhundertjährigen Entwicklung sei eine so eigenartige Mischung der Völker gewesen, wie sie in anderen Regionen Europas nicht zu finden gewesen sei. Dadurch war ein einzigartiges Nebeneinander deutscher und polnischer Grundformen in Sprache, Sitte, Siedlung, Bauweise und Lebensformen entstanden. Es zu entmischen, würde unendliches Leid über beide Völker bringen. Deswegen sei der im 19. Jahrhundert entstandene Nationalismus ein Unglück für Osteuropa gewesen. Die Zweifel meines Vaters betrafen mehr die deutsche Politik seit der Reichsgründung 1871 als die davor von Preußen betriebene Polen-Politik. Sie hatte, so glaubte er, das friedliche Nebeneinander der beiden Völker gefördert und keine Germanisierung der Slawen betrieben. Die Lehre, die mein Vater aus dem Ersten Weltkrieg und seinen Folgen zog: Ein sich gegenseitig respektierendes Verhältnis zwischen Deutschen und Polen müsse möglich sein. Er rang sich in schweren inneren Kämpfen vom deutschnationalen und überzeugten Weltkriegsoffizier zu einer positiven Einstellung dem polnischen Staat gegenüber durch. Trotzdem hat er stets den Versailler Friedensvertrag abgelehnt. Die größte Mißgeburt war seiner Ansicht nach der polnische Korridor. Durch ihn seien Ostpreußen vom Reich abgetrennt und rein deutsche Siedlungsgebiete in den Niederungen rechts und links der unteren Weichsel, der Warthe und Netze und unter Mißachtung des vom amerikanischen Präsidenten Wilson proklamierten Selbstbestimmungsrechts der Völker an Polen abgetreten worden.


 
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letzte Aktualisierung: 30.07.2004