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Horst Ernst Krüger:Die Geschichte einer ganz normalen Familie aus Altthorn in Westpreussen kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger |
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Adolf Heinrich, der Unternehmer und Deichhauptmann |
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Der Hof, in den mein Großvater eingeheiratet hatte, lag und liegt heute noch in der Niederung. Er hätte noch etwas größer sein können, wenn sein Schwiegervater August Zittlau nicht so oft in der Gastwirtschaft viele Stunden und ganze Nächte lang beim Würfelspiel zugebracht hätte. Eines Tages, als er wieder dieser Leidenschaft verfallen war und auch wohl Bier und Schnaps über den Durst getrunken hatte, verlor er zuerst seine Barschaft, die er bei sich trug, später Pferd und Wagen. Der Spielteufel hatte ihn gepackt. Da nützten keine Ermahnungen der Nachbarn, die den Spieltisch in der verräucherten Kneipe umlagerten. August Zittlau wollte den großen Verlust wieder hereinholen und setzte alles auf eine Karte. Für einen Bauern ist der Boden, den er bewirt[49]schaftet, nicht nur ein Vermögenswert, sondern auch der wichtigste Produktionsfaktor. Mein Urgroßvater setzte zehn Morgen besten Niederungsboden. Der Gegenspieler tat das gleiche. Dreimal konnte jeder der beiden Kontrahenten würfeln. Wer die größere Punktzahl erreichte, hatte gewonnen. August Zittlau knallte den Lederbecher auf den Tisch. Alle Anwesenden zählten laut die Punkte mit. Er würfelte zum zweiten und zum dritten Mal. Man zählte die Punkte weiter. Die Spannung in dem verräucherten und nach abgestandenem Bier stinkenden Raum wurde unerträglich. Nun war der Nachbar an der Reihe. "Wirtsman, doh us eenen Kloren in", sagte er. "August Du oder äk. De Felder sünn ja bienander, wea ahnet de wohl af?" "Man to, Nobar, sabled nech so vähl." Er nahm den Lederbecher und würfelte zweimal. Die Umstehenden zählten die Punkte. Ihm fehlten noch vierzehn Punkte zum Sieg. Er würfelte zum dritten Mal. Alle starrten wie gebannt auf den Spieltisch. "Een verer, een fünfer un een sechser, dat sünn foftain. August, Du bist verloren." Mein Urgroßvater hatte zehn Morgen Land verspielt. Auch in der Wirtschaft waren die Spuren des großen Weichselhochwassers von 1871 an allen Ecken und Enden zu erkennen, als sie mein Großvater zehn Jahre danach übernommen hatte. Er hatte sich aus eigenem Antrieb für seinen Beruf so gut wie möglich ausgebildet. Die damals übliche Lehre beim Vater genügte ihm nicht. Er wollte die modernen Produktionsmethoden kennenlernen und suchte sich eine Lehrstelle auf einem fortschrittlichen landwirtschaftlichen Betrieb. Bis zur Generation meines Großvaters waren die Erfahrungen der Väter maßgeblich für die Wirtschaftsweise der Söhne. In meiner Familie war Adolf Heinrich Nach den heutigen Maßstäben war die landwirtschaftliche Technik, die mein Großvater übernommen hatte, durchaus nicht hoch entwickelt. Viele Feldarbeiten, die sein Schwiegervater noch in Handarbeit durchführen ließ, stellte er auf halbmechanisierte Verfahren um. Die Neuerung, die alles bisher Gewesene auf den Kopf stellte, war die Einführung der Sämaschine. In Thorn hatte der technisch hochbegabte Gustav Eduard Drewitz das Särad erfunden. Mit seiner Hilfe konnte zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die Hand des Sämanns durch eine technische Einrichtung ersetzt werden. Mein Großvater schaffte sich eine Sämaschine von der Landmaschinenfabrik Drewitz an. Auch die landwirtschaftliche Produktion hatte er in vorbildlicher Weise intensiviert. Generationen hindurch waren die Wiesen des Hofes in einem schlechten Zustand. Das Entwässerungssystem war vorhanden. Viel Mühe und Arbeit waren notwendig, wenn es seinen Zweck erfüllen sollte. Daran hatte es gefehlt. Wo noch bei seinem Schwiegervater die Frösche quakten und die Störche ein Wohlleben ohnegleichen führten, wuchs bald gutes Gras. Die Heuernte und die Weideleistung des Grünlandes stiegen, die Viehwirtschaft wurde erweitert. Bald konnte er anstatt fünf acht und im Mai, wenn die Kühe ausgetrieben wurden, auch zehn Milchkannen täglich zur Molkerei abliefern. Sein Schwiegervater hatte noch an der überlieferten Dreifelderwirtschaft festgehalten. Das bedeutete: Nach zweijährigem Getreidebau folgte ein Jahr Brache. Mein Großvater baute auf seinem Acker nach Sommergetreide Roggen oder Weizen und im dritten Jahr Kartoffeln und Zuckerrüben an. Auf dem Feld, das früher brach liegen gelassen wurde, erwirtschaftete er mit Hackfrüchten einen höheren Ertrag, als mit Getreide und Feldfutter zu erreichen war. [51] Im 19. Jahrhundert lehrten in Preußen bedeutende Philosophen, wie beispielsweise Johann Gottlieb Fichte und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, die Begründer des deutschen Idealismus. Auch Naturwissenschaften, Technik und Nationalökonomie standen in hoher Blüte. Daraus hatte mein Großvater für seine praktische Wirtschaftsführung Nutzen gezogen. Im Westen des Deutschen Reiches entwickelten sich Industrie, Handel und Gewerbe, die den Wohlstand und die Kaufkraft auch der bis dahin ärmeren Bevölkerungsschichten hoben. Mein Großvater nutzte die dadurch größer gewordenen überregionalen Absatzmöglichkeiten für seine Produkte und entwickelte auf diese Weise aus einem sich selbst versorgenden Bauernhof ein modernes mittelständisches Unternehmen. Ich habe mich später oft gefragt, warum er und dann auch mein Vater sich Landwirte und nicht Bauern nannten. Sie wollten wohl mit diesem Wechsel ihrer Berufsbezeichnung das Selbstverständnis zum Ausdruck bringen, moderne Unternehmer zu sein. Sie wollten für den Markt produzieren und nicht nur für Essen, Kleidung und Wohnung ihrer Familie sorgen. Dadurch war es meinem Großvater möglich geworden, in etwas mehr als zwanzig Jahren vermögend, ich sage bewußt nicht reich, zu werden. 1906 konnte er den Nachbarhof kaufen und mit sechzigtausend Goldmark bar bezahlen. Er gehörte Gustav Huhse, dessen Tochter drei Jahre später die Frau seines Sohnes wurde.Aus der Zeit, als mein Großvater seinen Hof auf fünfundsiebzig Hektar vergrößert hatte, stammt ein Bild Meine Großmutter stand, als das Gruppenbild aufgenommen wurde, einer umfangreichen Hauswirtschaft vor. Viehhaltung und Feldwirtschaft wußte sie bei meinem Großvater in den besten Händen. Zu der Zeit, als das Gruppenbild entstanden war, fuhren meine Großeltern jährlich für einige Wochen zur Kur nach Neuenahr an der Mosel. Mein Großvater war Deichhauptmann, Kreistagsabgeordneter, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Vereins und Mitglied der Landwirtschaftskammerversammlung in Danzig. Ein zweites Bild Die vier Geschwister meiner Familie hatten eine hochdeutsche Allgemeinbildung und musische Erziehung genossen. Mein Großvater ließ seine vier Kinder durch Hauslehrer unterrichten. Sie hatten vor der Königlichen Prüfungskommission in Thorn die Mittlere Reife bestanden. Das mir lieb gewordene Bild der Kaffeetafel im Grünen zeigt den nicht übertriebenen, aber soliden Wohlstand einer mittelständischen Familie. Ein am gedeckten Tisch im Freien mit seinen Kindern sitzendes Ehepaar war ein beliebtes Motiv der impressionistischen Maler jener Zeit. Das Bild macht auf mich einen tiefen Eindruck und spiegelt Geselligkeit, Zwanglosigkeit, Heiterkeit und Lebensgenuß, ein bürgerlich-bäuerliches Grundgefühl um die Jahrhundertwende. Privat war man ein liebevoller Mensch, im Betrieb wurde eine strenge preußisch disziplinierte Kontrolle ausgeübt. So könnte man den Charakter meines Großvaters beschreiben. Nach weiteren drei Jahren, 1909, hatten meine Eltern geheiratet. Sie wurden von Pfarrer Reinhold Heuer |
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Volker J. Krüger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 30.07.2004