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Wappen der Familie Krüger aus Thorn

Horst Ernst Krüger:


Die Geschichte einer ganz normalen
Familie aus Altthorn in Westpreussen


kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger


Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text

Adolf Heinrich, der Unternehmer und Deichhauptmann

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang in der Originalausgabe, die dem Herausgeber vorliegt.

Hinter dem eröffnen sich genealogische Zusammenhänge in Bezug auf die betreffende Person.

Falls Sie sich den Originaltext, um den es an der so bezeichneten Stelle geht, ansehen wollen, so werden Sie hier fündig.

Mit diesem Zeichen weist der Herausgeber dieses Dokuments auf Bemerkenswertes hin und

mit diesem Zeichen macht er auf Fragen aufmerksam, die sich ihm zu dem jeweiligen Text gestellt haben.

Hier erwartet Sie ein Schwarz-Weiss-Foto und hier eine solches in Farbe.

Und falls Sie mehr über die soKurzbiographie gekennzeichnete Person erfahren wollen, finden Sie hier eine Kuzbiographie.


Mein Großvater Adolf Heinrich KrügerDies ist ein Link zum genealogischen Daten dieser Person war Zeitgenosse von Hugo Samuel Krause. Er war nur acht Jahre jünger. Vielleicht war das der Grund dafür, daß sein Leben nicht in Resignation endete. Am 22. Juli 1857 im Amtaler Sandkrug geboren, war er 1870, als der Krieg mit Frankreich ausbrach, dreizehn Jahre alt. Im Todesjahr von Hugo Samuel Krause war er mit meiner Großmutter Hermine Zittlau, der Erbin eines großen Hofes in Altthorn, vor den Traualtar der Gursker Kirche getreten. Während ihrer Verlobungszeit war er die Chaussee von Amtal nach Altthorn unzählige Male entlanggefahren. Sie war unter den Preußen aus einem elenden Sandweg zu einer schnurgeraden Schotterstraße ausgebaut worden. Wenn er durch den Thorner Stadtwald von Pensau und Schmolln hindurch war, konnte er die zwölf Höfe auf dem Hedberg liegen sehen. Einer von ihnen gehörte Hugo Samuel Krause, der seine Schimmel mehr liebte als seine Frau.

Der Hof, in den mein Großvater eingeheiratet hatte, lag und liegt heute noch in der Niederung. Er hätte noch etwas größer sein können, wenn sein Schwiegervater August Zittlau nicht so oft in der Gastwirtschaft viele Stunden und ganze Nächte lang beim Würfelspiel zugebracht hätte. Eines Tages, als er wieder dieser Leidenschaft verfallen war und auch wohl Bier und Schnaps über den Durst getrunken hatte, verlor er zuerst seine Barschaft, die er bei sich trug, später Pferd und Wagen. Der Spielteufel hatte ihn gepackt. Da nützten keine Ermahnungen der Nachbarn, die den Spieltisch in der verräucherten Kneipe umlagerten. August Zittlau wollte den großen Verlust wieder hereinholen und setzte alles auf eine Karte. Für einen Bauern ist der Boden, den er bewirt[49]schaftet, nicht nur ein Vermögenswert, sondern auch der wichtigste Produktionsfaktor. Mein Urgroßvater setzte zehn Morgen besten Niederungsboden. Der Gegenspieler tat das gleiche. Dreimal konnte jeder der beiden Kontrahenten würfeln. Wer die größere Punktzahl erreichte, hatte gewonnen. August Zittlau knallte den Lederbecher auf den Tisch. Alle Anwesenden zählten laut die Punkte mit. Er würfelte zum zweiten und zum dritten Mal. Man zählte die Punkte weiter. Die Spannung in dem verräucherten und nach abgestandenem Bier stinkenden Raum wurde unerträglich. Nun war der Nachbar an der Reihe. "Wirtsman, doh us eenen Kloren in", sagte er. "August Du oder äk. De Felder sünn ja bienander, wea ahnet de wohl af?" "Man to, Nobar, sabled nech so vähl." Er nahm den Lederbecher und würfelte zweimal. Die Umstehenden zählten die Punkte. Ihm fehlten noch vierzehn Punkte zum Sieg. Er würfelte zum dritten Mal. Alle starrten wie gebannt auf den Spieltisch. "Een verer, een fünfer un een sechser, dat sünn foftain. August, Du bist verloren." Mein Urgroßvater hatte zehn Morgen Land verspielt.

Auch in der Wirtschaft waren die Spuren des großen Weichselhochwassers von 1871 an allen Ecken und Enden zu erkennen, als sie mein Großvater zehn Jahre danach übernommen hatte. Er hatte sich aus eigenem Antrieb für seinen Beruf so gut wie möglich ausgebildet. Die damals übliche Lehre beim Vater genügte ihm nicht. Er wollte die modernen Produktionsmethoden kennenlernen und suchte sich eine Lehrstelle auf einem fortschrittlichen landwirtschaftlichen Betrieb. Bis zur Generation meines Großvaters waren die Erfahrungen der Väter maßgeblich für die Wirtschaftsweise der Söhne. In meiner Familie war Adolf HeinrichDies ist ein Verweis auf eine Kurzbiographieder erste Aussteiger, wie man heute sagen würde. Er brach nicht radikal mit der Tradition, stieß aber bei seinem Vater auf Unverständnis, weil er für seine Zeit sehr fortschrittliche Wirtschaftsmethoden einführte. Als mein Großvater auf seinem Hof in Altthorn eine Dampfmaschine angeschafft hatte, sagte sein Vater zu ihm: "Do sett de Düwel dren, jieh wat sehne, do sett de Düwel dren." Meine Großmutter versuchte, ihn zu [50] beruhigen. Er ließ sich aber in seiner kompromißlosen Ablehnung der modernen Technik nicht beirren. Seine Besuche in Altthorn, er wohnte bis zu seinem Tode auf dem Sandkrug in Amtal, wurden aus diesem Grunde seltener. Er starb mit seiner erstarrten Meinung: Die Überlieferung ist gut, der Fortschritt böse.

Nach den heutigen Maßstäben war die landwirtschaftliche Technik, die mein Großvater übernommen hatte, durchaus nicht hoch entwickelt. Viele Feldarbeiten, die sein Schwiegervater noch in Handarbeit durchführen ließ, stellte er auf halbmechanisierte Verfahren um. Die Neuerung, die alles bisher Gewesene auf den Kopf stellte, war die Einführung der Sämaschine. In Thorn hatte der technisch hochbegabte Gustav Eduard Drewitz das Särad erfunden. Mit seiner Hilfe konnte zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die Hand des Sämanns durch eine technische Einrichtung ersetzt werden. Mein Großvater schaffte sich eine Sämaschine von der Landmaschinenfabrik Drewitz an.

Auch die landwirtschaftliche Produktion hatte er in vorbildlicher Weise intensiviert. Generationen hindurch waren die Wiesen des Hofes in einem schlechten Zustand. Das Entwässerungssystem war vorhanden. Viel Mühe und Arbeit waren notwendig, wenn es seinen Zweck erfüllen sollte. Daran hatte es gefehlt. Wo noch bei seinem Schwiegervater die Frösche quakten und die Störche ein Wohlleben ohnegleichen führten, wuchs bald gutes Gras. Die Heuernte und die Weideleistung des Grünlandes stiegen, die Viehwirtschaft wurde erweitert. Bald konnte er anstatt fünf acht und im Mai, wenn die Kühe ausgetrieben wurden, auch zehn Milchkannen täglich zur Molkerei abliefern. Sein Schwiegervater hatte noch an der überlieferten Dreifelderwirtschaft festgehalten. Das bedeutete: Nach zweijährigem Getreidebau folgte ein Jahr Brache. Mein Großvater baute auf seinem Acker nach Sommergetreide Roggen oder Weizen und im dritten Jahr Kartoffeln und Zuckerrüben an. Auf dem Feld, das früher brach liegen gelassen wurde, erwirtschaftete er mit Hackfrüchten einen höheren Ertrag, als mit Getreide und Feldfutter zu erreichen war.

[51] Im 19. Jahrhundert lehrten in Preußen bedeutende Philosophen, wie beispielsweise Johann Gottlieb Fichte und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, die Begründer des deutschen Idealismus. Auch Naturwissenschaften, Technik und Nationalökonomie standen in hoher Blüte. Daraus hatte mein Großvater für seine praktische Wirtschaftsführung Nutzen gezogen. Im Westen des Deutschen Reiches entwickelten sich Industrie, Handel und Gewerbe, die den Wohlstand und die Kaufkraft auch der bis dahin ärmeren Bevölkerungsschichten hoben. Mein Großvater nutzte die dadurch größer gewordenen überregionalen Absatzmöglichkeiten für seine Produkte und entwickelte auf diese Weise aus einem sich selbst versorgenden Bauernhof ein modernes mittelständisches Unternehmen. Ich habe mich später oft gefragt, warum er und dann auch mein Vater sich Landwirte und nicht Bauern nannten. Sie wollten wohl mit diesem Wechsel ihrer Berufsbezeichnung das Selbstverständnis zum Ausdruck bringen, moderne Unternehmer zu sein. Sie wollten für den Markt produzieren und nicht nur für Essen, Kleidung und Wohnung ihrer Familie sorgen. Dadurch war es meinem Großvater möglich geworden, in etwas mehr als zwanzig Jahren vermögend, ich sage bewußt nicht reich, zu werden. 1906 konnte er den Nachbarhof kaufen und mit sechzigtausend Goldmark bar bezahlen. Er gehörte Gustav Huhse, dessen Tochter drei Jahre später die Frau seines Sohnes wurde.

Aus der Zeit, als mein Großvater seinen Hof auf fünfundsiebzig Hektar vergrößert hatte, stammt ein Bild , das ihn im Mittelpunkt seiner Familie und seiner Leute, einer Gruppe von zweiundzwanzig Personen, zeigt. Er strahlt in seinem schwarzen Anzug mit Stehkragen und Fliege eine natürliche Autorität aus. Es ist, als ob er sagen wollte: "Jieh häbt düchtich rannhaut, nu willt wi Ahntefest fiern. De Ahnt wä god." Rechts neben ihm steht meine Großmutter im langen, weißen, hochgeschlossenen Kleid. Die Brosche an dessen Kragen harmoniert mit dem Mittelscheitel der glatt zu beiden Seiten heruntergekämmten Haare, die von einem tief sitzenden Knoten zusammengehalten werden. Links neben meinem Groß[52]vater steht seine erwachsene Tochter Anna, vor ihm sitzt die zweite ebenfalls heiratsfähige Tochter Frida, beide in langen Kleidern, so wie ihre Mutter. Frida hält eine Erntekrone auf ihren Knien. Die Rüschen am Rocksaum ihres festlichen weißen Kleides sind sorgsam nach beiden Seiten ausgebreitet. Sie vermittelt jetzt nach so vielen Jahren, sie ist lange tot, den Eindruck gediegener Eleganz, die sich wohltuend von der Gruppe abhebt. Rechts neben den Großeltern sitzt mein Vater, zweiundzwanzig Jahre alt und als einziger mit einer Kopfbedeckung, die aus dem Rahmen fällt. Er trägt einen sehr breitkrempigen Strohhut, wie er bei den Erntearbeiten an sehr heißen Sommertagen üblich war. Acht Männer stehen rechts und links von meiner Familie, Biergläser und ihre Erntegeräte in den Händen haltend. Hinter meinen Großeltern steht auf einer Milchbank, das Gruppenbild wurde vor dem Kuhstall aufgenommen, eine Reihe Frauen in einfachen Arbeitskleidern. Sie haben weiße Kopftücher, die unter dem Kinn mit zwei Knoten zusammengebunden sind. Einer der acht Männer heißt Gustav Wunsch. Von ihm wird später noch die Rede sein. Er ist der Vertrauensmann auf dem Hof, der die Leute zu beaufsichtigen hatte, wenn mein Großvater seiner zahlreichen Ehrenämter wegen abwesend sein mußte.

Meine Großmutter stand, als das Gruppenbild aufgenommen wurde, einer umfangreichen Hauswirtschaft vor. Viehhaltung und Feldwirtschaft wußte sie bei meinem Großvater in den besten Händen. Zu der Zeit, als das Gruppenbild entstanden war, fuhren meine Großeltern jährlich für einige Wochen zur Kur nach Neuenahr an der Mosel. Mein Großvater war Deichhauptmann, Kreistagsabgeordneter, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Vereins und Mitglied der Landwirtschaftskammerversammlung in Danzig.

Ein zweites Bild liegt vor mir. Es ist wahrscheinlich auch 1906 entstanden. Es strahlt im Unterschied zu der anderen Fotographie private Gemütlichkeit einer Kaffeestunde im Garten aus. Ein gedeckter Tisch steht im Sonnenschein vor einer dichten Blätterwand. Um ihn herum sitzen mein Vater in der Offiziersuniform des Thorner Feldartillerieregiments [53] Nummer 22, daneben Tante Frida in einem langen weißen Kleid. Sie gießt gerade Kaffee ein. Neben meinem Großvater sitzt meine Großmutter. Sie wirkt bescheiden neben ihm. Sein am Ende leicht nach oben gezwirbelter Kaiser-Wilhelm-Bart gibt ihm ein dominierendes Aussehen. Er hält liebevoll den Arm auf der Stuhllehne seiner neben ihm sitzenden Tochter Anna. In dieser Hand hält er eine Zigarre. Anna hat eine kleidsame weiße Bluse zu einem langen schwarzen Rock angezogen. Tischdecke und Kaffeegeschirr verraten den Zeitgeschmack der Familie. Er entspricht dem damals üblichen Jugendstil. Auf dem Bild fehlt der zweite Sohn meiner Großeltern. Gerhard hatte vielleicht ohne Selbstauslöser fotografiert. Meine beiden Tanten sind, ich erwähnte es wohl schon, im heiratsfähigen Alter.

Die vier Geschwister meiner Familie hatten eine hochdeutsche Allgemeinbildung und musische Erziehung genossen. Mein Großvater ließ seine vier Kinder durch Hauslehrer unterrichten. Sie hatten vor der Königlichen Prüfungskommission in Thorn die Mittlere Reife bestanden. Das mir lieb gewordene Bild der Kaffeetafel im Grünen zeigt den nicht übertriebenen, aber soliden Wohlstand einer mittelständischen Familie. Ein am gedeckten Tisch im Freien mit seinen Kindern sitzendes Ehepaar war ein beliebtes Motiv der impressionistischen Maler jener Zeit. Das Bild macht auf mich einen tiefen Eindruck und spiegelt Geselligkeit, Zwanglosigkeit, Heiterkeit und Lebensgenuß, ein bürgerlich-bäuerliches Grundgefühl um die Jahrhundertwende. Privat war man ein liebevoller Mensch, im Betrieb wurde eine strenge preußisch disziplinierte Kontrolle ausgeübt. So könnte man den Charakter meines Großvaters beschreiben.

Nach weiteren drei Jahren, 1909, hatten meine Eltern geheiratet. Sie wurden von Pfarrer Reinhold Heuer in Thorn-Mocker getraut. Meine Großeltern Huhse hatten in der Stadt ein Haus erworben. Meine Großeltern Krüger waren vor der Hofübergabe an meine Eltern in das umgebaute und renovierte Elternhaus meiner Mutter umgezogen. Im neuen Stallgebäude des Huhse'schen Hofes war genügend Platz für ein [54] Pferd und einen Kutschwagen. Die Scheune stand weiterhin der aktiven Generation zur Verfügung. Mein Großvater konnte auf dem Altenteil mit seiner Lebensleistung zufrieden sein. Er hatte den größten Hof von Altthorn ohne Schulden übergeben. Der Viehbesatz war nicht so hoch, wie er es gern gewollt hätte. Seine Tochter Frida hatte in den Hof von Reinhard Kriewald auf dem Hedberg und seine Tochter Anna in das Gut des Landwirts Ernst Linde in Krossen eingeheiratet. Beide Töchter wollten ihre Ehe mit einer standesgemäßen Aussteuer beginnen. Dazu gehörte ein voll eingerichteter Haushalt und der anteilige Wert des elterlichen Hofes in Bargeld. Diese Belastungen konnte mein Großvater nur durch erhebliche Eingriffe in den Viehbestand finanzieren. Einen Teil des Erbes seiner Geschwister mußte mein Vater übernehmen. Mein Großvater genoß den wohlverdienten Ruhestand nicht sehr lange. Kurz nachdem der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, verstarb er an einem damals unheilbaren Leiden. Er war zuckerkrank.


 
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letzte Aktualisierung: 30.07.2004