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Wappen der Familie Krüger aus Thorn

Horst Ernst Krüger:


Die Geschichte einer ganz normalen
Familie aus Altthorn in Westpreussen


kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger

Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text

Schimmelkrause

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang in der Originalausgabe, die dem Herausgeber vorliegt.

Hinter dem eröffnen sich genealogische Zusammenhänge in Bezug auf die betreffende Person.

Falls Sie sich den Originaltext, um den es an der so bezeichneten Stelle geht, ansehen wollen, so werden Sie hier fündig.

Mit diesem Zeichen weist der Herausgeber dieses Dokuments auf Bemerkenswertes hin und

mit diesem Zeichen macht er auf Fragen aufmerksam, die sich ihm zu dem jeweiligen Text gestellt haben.

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Und falls Sie mehr über die soKurzbiographie gekennzeichnete Person erfahren wollen, finden Sie hier eine Kuzbiographie.


Bisher war nur vom Mannesstamm meiner Familie die Rede. Die Vorfahren meiner Mutter hatte mein Vater ebenfalls bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts aus den Kirchenbüchern heraus[45]gesucht. Meine Großmutter mütterlicherseits, Martha Fenner, war in Gurske geboren worden, mein Großvater, Gustav Ferdinand Huhse, den ich bereits erwähnte, in Altthorn. Die Mutter meiner Großmutter, Emilie Henriette Krause, verehelichte Fenner, hatte einen Bruder, dessen Lebensbild ich Pastor Heinz Krause verdanke. In der Zeitschrift "Der Westpreuße"(9) erschien von ihm unter dem Titel "Wie hatte das nur geschehen können?" eine Beschreibung des Schicksals von Hugo Samuel Krause, des Bruders meiner Urgroßmutter. Mir war es sehr willkommen, daß auch aus der Familie meiner Mutter sich jemand gefunden hatte, der seine Erinnerungen aus dem 19. Jahrhundert zu Papier gebracht hatte.

Hugo Samuel Krause wurde zu den Danziger Leibhusaren eingezogen. Seine Eskadron lag in Preußisch-Stargard. Dort wurde er auch ausgebildet. Das Reiten und die Pferdepflege, diese beiden Voraussetzungen für einen guten preußischen Husaren, hatte er schon auf dem elterlichen Hof in Altthorn gelernt. Seine militärische Ausbildung war noch nicht beendet, als Frankreich 1870 Preußen den Krieg erklärte. Das 1. Leibhusarenregiment, dem die Eskadron von Hugo Samuel angehörte, hatte an den siegreichen Schlachten bei Weißenburg Vionville und Mars-la-Tour nicht teilgenommen. Als der Französische Kaiser Napoleon III bei Sedan gefangengenommen wurde, schien der Feldzug beendet zu sein. Die Einheit unseres Husaren, so schien es, würde in die Heimat verlegt werden, ohne Feindberührung gehabt zu haben. Die Franzosen gaben sich jedoch nicht geschlagen, setzten den gefangenen Kaiser ab und kämpften weiter.

Die Ereignisse, die dem Husaren Hugo Samuel zum Verhängnis wurden, schienen völlig ungefährlich zu sein. Die preußische Kavallerie und mit ihr das 1. Leibhusarenregiment hatte im Oktober 1870 den Befehl erhalten, im Raum Orleans die Stellungen der französischen Volksarmee zu erkunden. Hugo Samuel Krause mußte deswegen wiederholt mit seiner Eskadron an Patrouillenritten teilnehmen. "Dabei ist es dann passiert", schreibt Heinz Krause in seinem Bericht. "Ein kleiner Trupp war bis zu einem Waldrand vorgedrungen. Die ande[46]ren wollten weiter vorfühlen. Husar Krause wurde zur Sicherung an einem Hohlweg postiert. Als der Trupp gerade um eine Waldecke gebogen war, da war der Posten auf einmal von zehn oder mehr Franzosen umringt. Ehe er den Karabiner in Anschlag bringen oder den Säbel zücken konnte, hatten sie ihn vom Pferd gerissen und gefangengenommen." Er wurde verhört und in den Raum südlich von Orleans geschafft. "Überall bestaunte man den Gefangenen in seiner schwarzen Uniform mit den weißen Schnüren und vor allem die seltsame Mütze mit dem Totenkopf." Die Bevölkerung war feindselig. Die Gefangenen mußten bei ihrem Marsch nach Südfrankreich deren Übergriffe über sich ergehen lassen. Schließlich wurden sie nach Korsika verschifft. Die Inselbevölkerung sah sie nicht als die verhaßten Todfeinde an. Sie versorgten sie sogar mit der auf der Insel beliebten Eselswurst und mit Rotwein, soviel sie trinken wollten. In den langen Wochen der Gefangenschaft gewöhnte sich Hugo Samuel Krause an den süffigen, ihm bis dahin unbekannten schweren Südwein. Je mehr er trank, umso weniger gelang es ihm, die Demütigung zu vergessen, die die Gefangenschaft für ihn bedeutete. Als gebrochener Mann wurde er im Sommer 1871, als Frankreich besiegt war, in die Heimat entlassen.

In der Thorner Niederung hatte sich alles verändert. Seine Eltern waren gestorben. Bei den Geschwistern, die sich um das Erbe stritten, konnte er nicht leben. Der Hof in Altthorn wurde von ihnen verkauft. Wo sollte der einst so stolze Leibhusar bleiben, dem das Schicksal so übel mitgespielt hatte? Wenn möglich, kaufte er sich Rotwein und versuchte mit dessen Hilfe die Gefangennahme und ihre Folgen zu vergessen. Das gelang ihm nicht, obwohl er in Gurske eine junge Witwe heiratete, die Hofbesitzerin auf dem Hedberg war. Marie-Luise Pankratz hatte ihren Mann verloren und war mit zwei kleinen Kindern allein zurückgeblieben. Die neue Aufgabe, einen Fünfundzwanzig-Hektar-Hof zu leiten, kam seinen Vorstellungen von einem ausgefüllten Leben entgegen. Von Pferden verstand er viel. Den Ackerbau hatte er auf dem [47] elterlichen Hof erlernt. Seine Ehefrau war glücklich, einen Vater für ihre beiden Kinder aus der ersten Ehe gefunden zu haben. Bald wurde ein Sohn und Hoferbe geboren. So schien sich das Leben des ehemaligen preußischen Husaren ebenso wie das der Nachbarn einzuspielen. Leider nur an der Oberfläche. In den stillen Stunden am Feierabend, wenn er noch einmal nach seinen Schimmeln sah, die er zu züchten begonnen hatte, kamen die Gedanken an die Militärzeit. Seine Eskadron in Preußisch-Stargard war nur mit Schimmeln beritten. Andere Pferde mochte er auf seinem Hof nicht leiden. Wurde ein Fohlen geboren, das nicht weiß zu werden versprach, verkaufte er es mit Verlust. Seine Nachbarn kannten seine Schwäche und nutzten sie aus. "Kann sek de Schimmelkrause sone düre Leidenschaft overhaupt leisten?" "Nee, wat he bruken deit, sen veä Ackerpeä. De Farf speelt doch keene Rull. Hauptsach se träcke den Mässwogen und den Plook."

Unserem Husaren, als der er sich immer noch fühlte, blieb nicht verborgen, wie die Leute über ihn dachten. Es wimmelte nur so von Helden in den Kriegervereinen, bei den Sedansfeiern, Paraden, Festreden anläßlich des Reichsgründungstages. Das deutsche Volk befand sich in einem nationalistischen Siegestaumel. Nur Hugo Samuel marschierte nicht mit. Pastor Heinz Krause schreibt dann weiter: "Ein Deutscher hatte sich von den Franzosen gefangennehmen lassen. Das paßte nicht in das allgemeine Konzept. Niemand fragte nach den Umständen; es war einfach eine Schande. Den Vereinsamten, sozusagen Ausgestoßenen, quälte jetzt umso stärker die alte Frage: Wie hatte es nur geschehen können? Er fühlte sich wie einst in Korsika als Fremder. Und wieder betäubte er alles mit dem nun auch in Deutschland billigen Rotwein .... Vielleicht war er zu sensibel. Mit Hilfe seiner tapferen Frau, die alles mit ihm trug, mit der Familie, mit der Arbeit, mit den Tieren, mit Feld und Wald versuchte er immer wieder, neu anzufangen. Aber dann kamen sie auch wieder, die Tage der Siegesfeiern und seines Ausgestoßenseins, die Tage der quälenden Fragen. Dann war es der Tröster der Gefangenschaft, in dem er Vergessen suchte. Seine Gesundheit muß darunter [48] gelitten haben, denn eine kurze, aber sehr heftige Krankheit setzte seinem Leben und seinen seelischen Qualen ein Ende. Am 31. März 1881 verstarb Hugo Samuel Krause im Alter von noch nicht einmal vierunddreißig Jahren. Sein Leben hatte sich auf der Schattenseite einer siegestrunkenen Zeit abgespielt."


 
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letzte Aktualisierung: 30.07.2004