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300 Jahre Evangelische Kirchengemeinde Gurske  


Ernst Basedow [Hrsg.]


Festschrift
zum 300jährigen Bestehen
der Evangelischen Kirchengemeinde
Gurske 1614 - 1914

Thorn
Druck und Verlag der C. Dombrowski'schen Buchdruckerei
1914


Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text
Aus der Niederung schwerster Zeit

Nach Aufzeichnungen von Augenzeugen bearbeitet von Hermann Saß - Gurske

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.


[9]Jeder Jubiläumstag soll ein Tag des Dankes sein, die ihn feiern, sollen rückblickend auf die Vergangenheit in Dankbarkeit ihrer Väter gedenken. Die Bewohner der Thorner Stadtniederung, die am 7. Juni 1914 das Fest des dreihundertjährigen Bestehens ihrer Kirchengemeinde feiern, haben dazu die größte Ursache; denn, daß ihnen heute ihre Scholle die Arbeit lohnt, das verdanken sie ihren Vätern, die immer wieder den Kampf mit der Weichsel um ihr Land aufgenommen haben. Sicher liegt heute das Niederunger Land vor der Weichsel durch den starken Damm geschützt in seinem grünen Flor und läßt kaum noch ahnen, welche Verheerungen es einst erfahren hat. Hier und da erinnert wohl ein Ausbruch oder ein Sandhügel mitten im bebauten Lande an überstandene Wassernot, aber sie werden weniger, denn jahraus, jahrein haben die Wirte in rastloser Arbeit die Spuren, die die Weichsel von ihren Verheerungszügen hinterlassen hat, von ihren Feldern getilgt. So ist heute die Thorner Stadtniederung eine der ertragfähigsten Gegenden unserer Provinz, wenn sie auch bei weitem nicht mit der Marienburger oder Elbinger Niederung verglichen werden kann. Daß freilich auch heute noch mit einer Überschwemmung gerechnet werden muß, die den blühenden Wohlstand auf Jahre hinaus vernichten würde, das hat den Bewohnern das Frühjahrshochwasser des Jahres 1909 gezeigt. Die ganze Größe eines möglichen Unglücks erkennt man wohl erst dann, wenn man die Erinnerung an die Wassernöte vergangener Zeiten, vergangener Jahrhunderte wach werden läßt.

Die größte Not dürften wohl die beiden vorletzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts mit den furchtbaren Überschwemmungen des Jahres 1786 über die Niederung gebracht haben. Zu den Wassernöten kann als eine Folge von ihnen der Zwist mit der Gutsherrin, der Stadt Thorn, wegen des im Jahre 1783 neu zu erfolgenden Einkaufs der Gursker Zinsbauern, dessen Bedingungen anzunehmen sie bei ihrer völligen Erschöpfung nicht imstande waren.

[10]Die Dörfer der Thorner Stadtniederung waren im Jahre 1457 der Stadt vom König Kasimir geschenkt worden. Die einzelnen Höfe wurden den Bauern auf 30 Jahre verpachtet. Der Zins betrug für den Morgen Niederungsland 45 Gr. Nach 30 Jahren mußte sich jeder Bauer von neuem einkaufen. Als Einkaufsgeld wurde der Zins einmal doppelt bezahlt.

Die Zeit der Not beginnt für die Dörfer mit dem Jahre 1772. Bei der in diesem Jahre erfolgten Teilung Polens wurden die Dörfer preußisch, während die Herrin, die Stadt Thorn, unter polnischer Hoheit verblieb. Die Einsassen hatten jetzt außer dem Zins noch die preußische Kontribution von 30 Gr. für den Morgen zu bezahlen. Es wurde ihnen jedoch anbefohlen, das eine Dritteil des Zinses, das sogenannte "pro domino", der Stadt abzuziehen, was sich die Stadt auch stillschweigend gefallen ließ. Erst in der Folge sollte es deswegen zu unerquicklichen Auftritten zwischen Stadt und Pächtern kommen. Wie schon gesagt, ist das spätere Verhalten der Pächter nur durch die von den Wassernöten herrührende Erschöpfung zu erklären. Beides ist so innig mit einander verknüpft, daß es auch hier nicht getrennt werden soll. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf handschriftliche Aufzeichnungen des damaligen Pfarrers Liebelt. Teils sind es Berichte, teils sind es Abschriften von Briefen, die er in einem Hefte "zum Besten seiner Nachfolger im Amte und überhaupt der Nachkommen" niedergelegt hat. Dieser schlichte Dorfpfarrer hat sich in seinen Aufzeichnungen ein rührendes Denkmal gesetzt, denn aus jeder Zeile leuchtet die Hoheit seines Geistes, die Lauterkeit seiner Gesinnung und die treue Liebe zu seinen Gemeindekindern entgegen.

Das Frühjahr des Jahres 1780 brachte infolge des häufig gefallenen Schnees Hochwasser. Vom 14. März an wuchs das Wasser stündlich einen Zoll. Die der Kirche gegenüberliegende Schleuse (sie diente wahrscheinlich zur Entfernung des stehenden Wassers, von dem die Niederung seit der Eindeichung im Jahre 1586 viel zu leiden hatte) war, obwohl sie erst 15 Jahre alt war, im schlechten Zustande, weil man beim Bau dazu untaugliches Holz zu den Pfählen genommen hatte. Am 15. in der Nacht, um 2 Uhr, wurde sie von der Gewalt des Wassers fortgerissen. Das Wasser strömte durch die Öffnung, sie immer vergrößernd (bis auf 30 Ellen), im breiten Strome ins Dorf. Das Getöse des Wassers, verbunden mit dem Läuten der Glocken, wurde bis Przysiek (Wiesenburg) gehört. Da das Wasser beständig wuchs, drohte es an andern Stellen über den [11]Damm zu laufen. "Die braven Gursker" arbeiteten mit unglaublicher Anstrengung, es zu verhüten. Um 7 Uhr des Morgens konnten sie es aber nicht mehr halten. Das Wasser durchbrach den Damm beim Hause des E.  J a c o b  M e n z, welches, das zweite von der Kirche, auf dem Damme stand, und strömte in einer Breite von 6 Ellen ins Dorf. Auch bei Schmolln floß Wasser über den Damm und strömte von dieser Seite ins Dorf, so daß die Weiden auf den Ländern gegen den Heydeberg bis an die Köpfe im Wasser standen. Am 16. fing das Wasser zu fallen an. Am 27., dem 2 Osterfeiertage, war es so weit weggefallen, daß der Pfarrer schon mit dem Wagen von der Kirche bis zu "den Häusern am Heydeberge" fahren konnte, um einen Kranken zu besuchen. Verluste an Vieh und Menschen waren nicht zu beklagen, denn man hatte das Vieh, als man das Läuten der Glocken hörte, auf den Berg getrieben. Der größte Schaden dieses Hochwassers bestand in der durchgehends geschehenen Beschädigung des Damms, so daß bei neuem Hochwasser das Schlimmste zu befürchten stand. Die nächsten Jahre brachten nasse Sommer und schlechte Ernten. "Die Weizenfelder gaben den lachendsten Anblick, versprachen die reichste Ernte – und man erntete Stroh." So oft die Landleute von anderer Arbeit abkonnten, gingen sie an die Ausbesserung der Dämme. Sie schütteten sogar einen neuen Damm zur Beschützung der Schleuse, der Kirche gegenüber. Um die Wiederherstellung der Dämme machten sich besonders die beiden Schulzen verdient. L i e b e l t schreibt von ihnen: "Schulzen waren damals M i c h a e l  L e u c h n i t z  in Altthorn und H e i n r i c h  K r ü g e r in Gurske, die sich, und besonders der letzte, zur Erhaltung und Wiederherstellung der Dämme, bey der alleräußersten Gefahr und Verdorbenheit, so rühmlich besorgt und anhaltend thätig bewiesen haben, daß ihre Nahmen hier aufbehalten zu werden verdienen." Die Sommer waren sehr naß und brachten Hochwasser. Um eine Sommerüberschwemmung zu verhüten, mußte der Damm allenthalben erhöht werden. Der Damm war von dem anhaltenden Regen so aufgeweicht, daß er einem vollgezogenem Schwamm glich und die Arbeiter bis an die Kniee bei jedem Schritt einsanken. Zu beiden Seiten des Dammes stand tiefes Wasser. Die zur Erhöhung nötige Erde mußte daher vom Damme selbst genommen werden, so daß die Erhöhung auf Kosten der Breite geschah. An manschen Stellen blieb der Damm kaum ½ Elle breit, daß für den Winter wiederum die äußerste Gefahr bestand. Einige wurden bei der Arbeit so mutlos, daß sie alles hinwerfen wollten, da doch alle Arbeit vergebens sei. Die Folge des nassen Sommers war wiederum [12] Mißernte, so daß die Gursker in den letzten 8 Jahren vor 1786 nur Mißernten hatten.

In ihrem erschöpften Zustande sahen sie sich nun durch die Forderung der Thorner Kämmerei völlig vor den Ruin gestellt. Im Jahre 1785 war der vor 30 Jahren abgeschlossene Einkaufskontrakt abgelaufen. Thorn verlangte nun bei Schließung des neuen Kontraktes nicht nur fortan die Zahlung des vollen Zinses ohne Abzug, sondern auch die Nachzahlung des seit 1772 von den Bauern gemachten Abzuges. Alle erklärten einmütig, daß sie dazu nicht imstande wären. Die Stadt befand sich selbst in den "bedrängtesten Umständen" und mußte ihre Forderungen aufrechterhalten.

Mitte Mai des Jahres 1785 übergab der Pfarrer  L i e b e l t  "ein Pro memoriam in die Rathsstube", in dem er die Notlage seiner "Kirchenkinder" darlegt und um Milde bittet.

Um einen teuern Preis wurden die Dorfbewohner vorläufig noch vor dem weitern Vorgehen des Magistrats bewahrt. Eine furchtbare Katastrophe drängte die Entscheidung in dieser Sache um einige Zeit hinaus. Das Frühjahr des Jahres 1786 brachte eine furchtbare Überschwemmung. Der Bericht der Pfarrers  L i e b e l t  mag hier wörtlich wiedergegeben werden:

"1786 zu Anfange des Februar wurde hier die Weichsel ganz ohne allen Schaden vom Eise befreyet, da im Gegentheil tiefer unten in der Gegend von Mewe die Dämme durch die Macht des Wassers weggerissen und viele Dörfer unter Wasser gesetzt wurden – weil das Eis bei Dirschau stehen geblieben war, daß also der Abfluß völlig gehemmt war.

Da aber bald darauf bey sehr großem Wasser die Weichsel mit so starkem Eise belegt wurde, daß die hiesigen Nachbarn einige Wochen hindurch Holz von jener Seite führen konnten – und das Eis gegen Czarnowo dabey sich bis in den Grund hinein verstopfet haben mochte, mußte wir bey dem zweyten Eisgange für unsere Dörfer das äußerste besorgen.

Den 23. März stand hier noch alles fest. Wir erhielten aber Nachricht, daß bey der Stadt das Eis in Bewegung sich gesetzt hätte, und das Wasser so hoch wäre, daß es über die Brücke wegginge. Gegen Nießewrcie (?) bis an Gurske heran sahen wir die fürchterlichste Eisstopfung aufgethürmt.

[13]Um 2 Uhr Nachmittags gieng ich auf dem Damm etliche Länder weit fort. Als ich dem Ende der Ochsenkämpe gegenüberstand (nach Altthorn zu) fieng sich in der großen Weichsel hinter der Kämpe das Eis zu rühren an. – Das Wasser fing vor meinen Augen an immer mehr gegen den Damm heranzulaufen. – Ich kehrte mit meinem Gefährten um u. wider aller unser Vermuthen goß das Wasser an drey bis vier Stellen über den Damm wohl ¼ Elle hoch weg.

Wie ich über die Schleuse war, sehe ich, daß es bey meinem nächsten Nachbar mit aller Gewalt in den Garten hereinstürzte, die Meinigen waren schon sehr meinetwegen besorgt. – Aber mein Nachbar  J a c o b  H e i s e  kam mit dem Kahn, führte uns herüber und brachte uns in Sicherheit.

Auf dem Damme hinter der Kirche goß das Wasser auf gleiche Art herüber, so weit wir sehen konnten. – Bald warf es den Schoppen des E.  J a c o b  M e n z,  der im zweyten Hause von der Kirche wohnt, um und stürzte ins Haus. Die Menschen flüchteten sich auf den Boden und mußten auch den bald verlassen. Kaum hatten sie so viel Zeit gewinnen können, daß sie ein paar Pferde in meinen Stall brachten, alles übrige Vieh, 6 Schweine ausgenommen, blieb im Wasser – und wurde den 24. alles todt gefunden 11 Stück Rindvieh, 5 Pferde 9 Schweine. Der Schulz  H e i n r i c h  K r ü g e r,  der in die Schule um Mittag gekommen war, die Kinder auseinander gehen hieß u. allen, die ihm begegneten, auf schleunige Rettung bedacht zu seyn, zuredete – eilte selbst nach Hause u. da er gute Anstalten vorgekehret hatte, brachte er sein Vieh noch vor Abend alles in die Höhe – 2 Stück Rindvieh ausgenommen, die so widerspenstig waren, daß sie nicht herausgebracht werden konnten und im Wasser umkamen.

Des Morgens den 24. war vom Schleusendamm nichts zu sehen, bis auf den Kirchhof war das Wasser eingedrungen u. die Zäune gegenüber der Kirchmauer waren mit Wasser bedeckt.

Um 10 Uhr des Morgens hatte ich vom Kirchthurm den traurigsten Anblick – alle Häuser wie tief im Wasser – die Länder voll von Eis – und so weit man sehen konnte, stand das Wasser in der Weichsel so fest wie eine Mauer –

Hundert u. zehn, höchstens fünfzehn Schritte in die Breite mochten auf dem Kirchberge bis in meinen Garten vom Wasser bisher frey geblieben seyn.

[14]Um 1 Uhr Nachmittags strömte das Eis hinter dem 4ten Hause von der Kirche an in das Dorf hinein, daß der hiesige Schullehrer nebst dem Mitnachbar  J a n k e  und meinem Knecht Andreas, so sehr sie ihre Kräfte anstrengten, sich nicht hindurch arbeiten konnten. - - Das Eis zog gegen das zweyte hinter der Kirche gelegene Haus. In der Folge weiter bis an das Haus, das in der Trift liegt im 2/3 des Dorfs. Des Morgens sahen wir alles, so weit wir sehen konnten, mit Eise und Bäumen erfüllt. Bloß die gegenüberliegenden Häuser schienen noch zum Glück vom Eise frey zu seyn. In der Folge wurden sie davon ganz belagert. Kurz: wegen der Stopfung der Weichsel ging diese völlig ins Dorf – das Wasser war natürlich noch höher gestiegen. Mein Brunnen war ganz vom Wasser umfloßen. Mit der äußersten Gefahr wagte sich den 25ten der Schullehrer  K r a m p i t z,  mein Andreas vom Mitnachbar Janke aus dem vierten Hause von der Kirche in Altthorn über die Eisschollen. – Wir zitterten für ihr Leben. – Aber glücklich erreichten sie den Kahn, in welchem mein nächster Nachbar  J.  H e i s e  ihnen entgegenfuhr. – Noch waren sie keine Stunde zu Haus, als von neuem frisches Eis um 11 Uhr Vormittags einströmte. Das Wasser wuchs beynahe zusehends. Der Schwibbogen an dem Kirchhofsmauerende nach Altthorn zu war ganz mit Wasser bedeckt. Mehr wie zwey Ellen stand da die Mauer im Wasser. Von den Posten beym Kirchhofsthorwege ragte nur wenig hervor. – Mein nächster Nachbar hatte nun schon das Wasser in der Stube. – Sein Vieh war schon von früh morgens auf dem Tummelplatz.

Niemand kann sich den Anblick so trist und schaudervoll vorstellen, wie er war.

Das Wasser erreichte schon die äußerste Spitze des Brunnenstenders und war weit in den Fliedergang eingedrungen.

Um Mittag kamen 7 Kähne, zum Theil mit 7 Mann (überhaupt 34 Mann) u. alle mit Steuerleuten und Fischern besetzt, die von der Obrigkeit zur Rettung und Hülfe geschickt waren.

4 Kähne setzten von der Kirche durch das Eis nach den Häusern herüber, in denen der Waldknecht P a n k r a t z  war. 2 Kähne, nachdem sie des  J.  M e n z e n  übriges Getreyde, Eßwaren u.a. vom Boden gerettet hatten, kehrten dem Ansehen nach nach der Stadt wiederum zurück. Da diese Kähne zu mir das Getreyde brachten, landeten sie an der Pforte des Gartens beym Brunnen an und fuhren, nachdem sie abgeladen hatten, dicht bey meiner Laube vorbey, fort.

[15] Den 26. Mart. war das Wasser mehr als 2 Ellen weggefallen. Es war Sonntag, aber an keinen Gottesdienst zu denken. – Alles, so weit das Auge reichte, lag voller Eis. Den ganzen Tag fiel es. Wegen des Regens konnten wir uns nicht weit umsehen. Sehr angenehm war es uns, aus dem Schornstein des Hauses auf der gegenüberliegenden Kämpe Rauch aufsteigen zu sehen. –

Bei  Z a l s i e  B o z e  (Gursker Oberkrug) hatten die Brucher dammen müssen, sonst wäre da das Wasser nach dem Bruch gegangen. –

Gegen Abend kam der Schullehrer  K r a m p i t z  mit der Nachricht, daß auf des Krügers bey der Kirche Lande zwischen dem Eise ein Körper läge – 100 bis 120 Schritte weit vom Haus. Er wäre mit guter doppelter polnischer Kleidung bekleidet.

Noch etwas später erfuhren wir von unserm nächsten Nachbar, daß die Frau  K r ü g e r i n,  J o h a n n  K r ü g e r s  nachgelassene Witwe, beym Retten des Viehes am Donnerstag in ihrem Wohnzimmer ums Leben gekommen wäre".

Das Unglück war mit so elementarer Gewalt über das Land hereingebrochen, daß an Abwehr nicht zu denken gewesen war. Unermeßlich war der Schade, den das Dorf erlitten. Der Damm, der mit unsäglicher Mühe wieder hergestellt worden, war in seiner ganzen Länge entweder völlig zerstört oder arg beschädigt. Von den Verzäunungen war fast kein Pfahl stehen geblieben. Die Alleen der Weidenbäume waren umgestürzt und entwurzelt. Die meisten Häuser hatten Schaden genommen, die Obstgärten waren vernichtet. Das von den Höfen weggeführte Holz und die zertrümmerten Ackergeräte lagen mit dem Eise an manchen Stellen 5 Ellen hoch auf dem Lande, daß die Wintersaat darunter völlig erstickte. Viele Morgen der fettesten Wiesen waren versandet.

Die Stadt Thorn, die, wie es heißt, "durch einen Zusammenfluß der ungünstigsten Umstände heruntergekommen", konnte nicht helfen.

Pfarrer L i e b e l t  schilderte die Not seiner Gemeindekinder in einem Aufsatz: Von der Weichsel bey Thorn d.1. April, den er an Berliner Zeitungen schickte und in dem er alle Menschenfreunde um Unterstützung der ohne ihre Schuld ins Unglück Gekommenen anflehte. Außerdem sandte er ein Bittgesuch an den König.

[16] Im Mai trafen die ersten Gaben ein. Im ganzen flossen in das Dorf doch annähernd 1000 Gulden aus mildtätigen Händen. Martin Luther Wolff, Pastor an der Peterskirche in Petersburg, sandte 50 Rubel, die er in seiner Gemeinde gesammelt hatte, die Offiziere des Usedomschen Regiments ließen durch den Pastor Müller aus Thorn 18 Thaler an Liebelt zahlen. Auch das Bittgesuch an den König hatte Erfolg. Schon im Juli erhielten diejenigen, die Vieh verloren hatten, die Hälfte des geschätzten Wertes als Entschädigung.

Am 5. Januar 1787 mußten sämtliche Gursker, ein einziger ausgenommen, der keinen Verlust gehabt hatte, vor dem Landrat von Puttkammer in Culm erscheinen.

"Sie erhielten jeder nach Maßgebung seines gewissenhaft angegebenen mit einem Handschlag an Eidesstatt bestätigten Verlustes

für beschädigte Gebäude 33 1/3 P.C.
für verlohrene Saat 60 P.C.
für verlohrene Bäume, Zäune 50 P.C."

Wegen der versandeten Wiesen sollte noch in Zukunft etwas ausgemacht werden. Im ganzen fielen damals an Gurske dritthalb 1000 Thaler. Die Kontributionen wurden für 6 Monate erlassen. Die übrigen Dörfer erhielten zusammen etwa 1000 Thaler.

L i e b e l t  schreibt: "Gott sey gelobt für die Hilfe und Aufmunterung, die wohl zu keiner bequemeren Zeit hätte eintreffen können."

Ja, bitter not tat die Hilfe, denn der Vorwinter des Jahres 86 hatte die Niederung noch einmal unter Wasser gesetzt. "Den 27. November brach das kaum zum Stehen gekommene Eis wieder los, - u. da es tiefer unten unbeweglich stehen blieb – so schwoll das Wasser bey uns dergestalt an, daß es sich über die Dämme ergoß, sie, da sie frisch geschüttet und kaum fertig geworden waren, wegspülte u. an mehreren Orten durchbrach u. fortriß, daß also das ganze Dorf noch einmal 86 unter Wasser gesetzt wurde. Scheunen und Ställe waren voll und daher unmöglich, das Vieh auf den Boden zu bringen. Sie mußten also damit zu denen auf dem Berge, in Bruch flüchten. Da es bald wieder fror, so war weder zu Wasser noch sonst auszukommen – u. einer von dem andern fast ganz abgeschnitten." Am Neujahrstage konnte man in die Kirche kommen, aber mit großer Beschwerde über eine spiegelglatte Eisfläche. Mitte Januar sah es noch ebenso traurig aus. Auch in Pensau war alles [17] vom Eise bedeckt, und darunter stand das Wasser an manchen Stellen noch mannshoch. Die niedrig gelegenen Scheunen standen 3 Ellen hoch im Wasser. So verdarb sehr viel unausgedroschenes Getreide in den Scheunen und in Schobern, viel Heu und Strohfutter. Die teuer erkaufte Wintersaat war wieder völlig vernichtet. Die Zäune, die zum Teil schon wieder hergestellt worden, waren abermals fortgerissen. Auf Äcker und Wiesen war noch weit mehr Sand geführt worden als im Frühjahr, die Länder waren teils aufs äußerste mitgenommen, teils durch tiefe und große Ausbrüche an mehreren Stellen auf immer unbrauchbar gemacht. Der Damm, den man im Sommer mit großer Mühe ausgebessert hatte, wobei die Brucher, Ziegelwieser und Roßgärtner treulich geholfen hatten (z.B. hatten die Brucher 3 Tage nacheinander 10 Wagen, die Ziegelwieser an 2 Tagen 6 Wagen geschickt), war zerstört. Mit größter Angst sah man also dem Frühjahrshochwasser entgegen. Wider aller Erwarten verlief es aber ohne Schaden für die Niederung. "So waren also alle Besorgnisse, wodurch manche den ganzen Winter über geängstigt worden, alles Flüchten, alles Versuchen mit dem Eissprengen überflüssig geworden. Gelobet sey Gott!" schreibt Liebelt.

Liebelt wandte sich auch diesmal an den König, indem er unter Vorstellung des neuerlichen Unglücks noch einmal die Gnade des Königs anflehte. In Ansehung der schon in demselben Jahre gewährten Unterstützung wurde sein Schreiben nicht berücksichtigt. Da die Wintersaat verloren gegangen war, waren die Gursker nun nicht imstande, die preußische Kontribution zu bezahlen. Der Landrat bekam von der Königlichen Kriegs- und Domänenkammer den Auftrag, wegen der Rückstände gegen die Gursker mit aller Strenge zu verfahren. Am 12. April 1788 wandte sich Liebelt im Namen seiner Ortschaften noch einmal an den König. Dieses Schreiben hatte dann wenigstens den Erfolg, daß einem jeden soviel Unterstützung gewährt wurde, daß er davon die Kontribution für 6 Monate nachbezahlen und noch etwas zurücklegen konnte.

Als die Niederunger sich einigermaßen von der Überschwemmung erholt hatten, Winter 1787 u. Frühjahr 88 ohne Überschwemmung vorübergegangen, die Felder notdürftig bestellt waren, brachte der Magistrat von Thorn im Frühjahr 1788 die Einkaufsangelegenheit wieder in Fluß. Die Bauern blieben bei der Behauptung, daß sie unmöglich die Bedingungen eingehen könnten.

Vergeblich war die Mühe, die Pf.  L i e b e l t  sich machte, um zu vermitteln. Er kam dadurch nur nach beiden Seiten in eine schie[18]fe Stellung. Den Thorner Stadtvätern gefiel die Offenherzigkeit nicht, mit der er ihnen die Wahrheit sagte. Als Beispiel für seine Offenherzigkeit stehe hier eine Stelle aus einem Briefe an den Nebenkämmerer  D. v. G e r r e t:  "Und dann, verstehe ich den Wink recht, den mir das Unterstreichen der Worte: "daß aller alte Zins an die Kämmerey, ohne den Abzug, den seit 1772 sich die Nachbarn selbst erlaubt haben, gezahlet werden soll" anzudeuten scheint, so würde ohnfehlbar auch die Nachbezahlung für alle die 17 Jahre gefordert werden. – Und dann, erlauben Sie mirs, mit der Freymüthigkeit und Offenherzigkeit herauszusagen, mit welcher ein Biedermann d.h. ein Christ – denn, was wäre das für ein Christ, der nicht der ehrlichste und rechtschaffenste Mann wäre – in solchen Fällen reden muß: - dann wären die Thornischen Niederunger Schuldner und Sklaven ihr Lebenlang oder es müßten Wunder geschehen." Seine Gemeindekinder hatten hingegen nicht das Verständnis für seine treusorgende Liebe. Doch selbst die Undankbarkeit hat ihn nie bitter gemacht, das Wohl seiner Gemeinde lag ihm stets gleich am Herzen.

Die Forderung der Nachbezahlung für die Jahre 72 bis 83 ließen die Thorner später fallen, aber auch dann wollten die Gursker sich noch nicht zum Zins von 45 Gr. für den Morgen einkaufen. Die Kämmerei drohte mit zwangsweiser Exmittierung. Noch weiter ging die Kämmerei in ihren Forderungen zurück. In einer Zusammenkunft am 9. Juni 89 machte der Pfarrer den Gurskern im Auftrage des Nebenkämmerers bekannt, daß auch für die Zeit von 1783 an, in welchem Jahre der neue Kontrakt hätte geschlossen werden müssen, keine Nachzahlung gefordert werden würde. "Es fingen gleich einige auf der Stelle an zu erwidern, unter anderm der alte Mich. Wend u. noch ein paar alte Mn.(Mitnachbarn), jener unter Vergießung vieler Thränen, sie hätten gewünscht, den Rest ihrer Lebensjahre an dem Ort, wo sie so lange gewohnt, zuzubringen. Allein die Bedingungen einzugehen vermöchten sie nicht."

Wie groß muß die Not der Leute gewesen sein, da sie selbst angesichts der bevorstehenden Heraussetzung aus Haus und Hof doch bei ihrer Weigerung verblieben. "Den 11. Juni kamen alle zur Kämmerei gehörenden Herrn in 3 Kutschen mit einem Vorreiter ins Dorf, fuhren zu den Nachbarn Jac.  R i e n a s,  Michael  J a n k e  in Altthorn, Claus  B ö h n k e,  Johann  O t t,  Simon  K n o f,  Michael  K r a m p i t z  in Gurske, deuteten ihnen an, daß, weil die Nachbarschaft die ihr vorgeschriebenen Bedingungen nicht hätte eingehen wollen, sie die ersten seyn sollten, die binnen 14 Tagen, auf Johann [19] also räumen und ihre Besitzungen an andere ausgethan werden sollten. Zugleich mußten sie ihre Schulden angeben und die wurden vom Notarius notiert."

"Die Thorner historischen Nachrichten" brachten am 17. Juni die Anzeige, daß in Alt-Thorn 2 und in Gurske 4 Bauernhöfe erledigt seien. Die Bedingungen für den Einkauf könnten auf der Kämmerei eingesehen werden.

Am 16. Juni hatten die gesamten Insassen eine Bittschrift an den Magistrat eingereicht. Noch einmal stellten sie ihre Not dar und baten, indem sie darauf hinweisen, daß es doch eine unverdiente Härte wäre, aus ihren Häusern, die sie zum Teil aus eigenen Mitteln erbaut, hinausgestoßen zu werden, um Gnade. Zum Schlusse führten sie noch an, daß kein Insasse ohne Genehmigung des Landrats die Gegend verlassen dürfe. Da die Gursker in der Stadt auch viele für sich hatten, zog sich der Austrag der Sache noch etwas weiter hin. Die angekündigte Heraussetzung erfolgte noch nicht.

Am 13. Juli 1789 war noch nichts weiter in der Angelegenheit geschehen.

"Am 20. Juli wurde Jac.  R i e n a s  vor E. Löbl. Kämmerey vorgefordert und ihm nochmals angedeutet, was er zu gewarten. Da er zu Annahme der neuen Handveste (Mietskontrakt) sich nicht entschließen konnte, kam den 29. die ganze Kämmerey auf seinen Hof und, nachdem er nochmals befragt, wurden seine Mobilien herausgetragen, auf Wagen gelegt u. da er keinen Ort anzeigen wollte, wohin sie gebracht werden sollten, nach Przyszek geführt u. in die dasige Roßmühle gesetzt."

Ein Interimswirt wurde eingesetzt. "Rienas wurde angedeutet, daß er nie den Hof wieder zu bewohnen erhalten sollte, als wenn er sich unterwürfe. Nach verschiedenen von Zeit zu Zeit erfolgtem vergeblichen Zureden, wurde ihm der letzte Termin bis zum 13. August gesetzt. Seine Frau, die mit Anstecken so gar von Przyszek gedroht haben soll, wurde nach der Stadt gebracht u. in die Hauptwache gesetzt, wo sie sich noch heute den 13. August befindet."

Wieviel Menschenelend spricht aus diesen Zeilen!

"Vor dem 14. wurde der Nachbarschaft angedeutet, daß sie mit ihrer Erklärung einkommen möchten. Widrigenfalls sollte das Her[20]aussetzen weiter fortgehen – und der H. BM. G i l l e r  redete ihnen zu, daß sie doch wenigstens etwas bieten möchten. Sie erklärten hierauf schriftlich, daß, wenn sie hinreichende Versicherung erhielten, daß Versandungen, Brandforsten aus dem Maaß geworfen werden würden, sie sich zur Erhöhung des Zinses verstehen wollten. Darauf kam eine weitläufige Schrift, darinnen ihnen nochmals gesagt wurde, daß diese unbestimmte Antwort nichts abwenden würde, wenn sie nicht mit einer andern den 14ten früh in Przyszek einkämen. Die Gemeinde blieb bey ihrer Bitte, die durch 4 aus der Nachbarschaft überbracht wurde. D.R. hatte den übrigen Dorfschaften bekannt gemacht, daß nun M.  J a n k e  u. Claus  B ö h n k e  exmittiert werden sollten.

Alle Gursker versammelten sich des Morgens. An sie schlossen sich alle Schulzenämter von Pansau, Bösendorf u. Czarnowo, gingen zum Nachbarn Janke, wollten wider alles fernere Verfahren protestieren – erhielten aber das Consilium abeundi (Rat zu gehen) u. befolgten es.

Darauf wurde mit Janke dasselbe procedere, wie mit  R i e n a s,  vorgenommen, doch so, daß nichts von den Sachen nach Przyszek oder sonst transportiert wurde. Nun erhielten Janke, seine Frau und Kinder Befehl, sich fortzumachen und nicht wieder zu kommen." Die Gursker hatten in diesem Jahre eine gute Ernte gemacht, in ihnen stieg wohl die Hoffnung auf, daß die nächsten Jahre ihnen das, was die vergangenen ihnen genommen, wiedergeben möchten. Sie erklärten sich, daher angesichts des Elends, das sie bei der Heraussetzung ihrer beiden Nachbarn erlebt hatten, blutenden Herzens, durch die Not gezwungen, am 22. August bereit, die Bedingungen der neuen Handveste anzunehmen. Die Kämmerei kam ihnen nun auch in großzügiger Weise entgegen. Alle Nachzahlungen wurden ihnen erlassen. Der neue Vertrag sollte erst vom Jahre 1790 an gelten. Die Insassen R i e n a s  u. J a n k e  wurden auf die Bitte der Gemeinde hin in ihre alten Höfe wieder eingesetzt.

So wurde dann dieser Zwist, der über 5 Jahre gewährt hatte und der eine Folge der Not war, die die Überschwemmung über die Niederung gebracht hatte, zum Besten beider Teile beigelegt.

Pfarrer  L i e b e l t  schreibt: "Gott sey gedankt, daß diese fatale Sache, die so viele in der Stadt und auf dem Lande beunruhigt hat, endlich einmal beendigt worden ist. Ich war darüber so froh, daß ich den 11ten Sonntag nach Trinitatis Gott öffentlich dafür dankte, mit dem herzlichen Wunsch, daß der geschlossene Vertrag von beyden [21] Theilen treu und unverbrüchlich gehalten werden möge zu beyderseitiger völligster Zufriedenheit, zur Befestigung des gehörigen Verhältnisses zwischen Ober- und Untersassen."

Im Jahre 1820, nach Ablauf des Vertrags, wurden die einzelnen Höfe bei der Regelung der gutsherrlichen Rechte selbständig.

In der Folge hat die Niederung noch manche Heimsuchungen erfahren. Unsägliches Leid brachten die Kriegsjahre 1805 –14. Das Land wurde von den durchziehenden Heeren unglaublich ausgesogen. Dazu kamen 2 Überschwemmungen.

Nach dem Frieden nahm das Leben in der Niederung dann wieder einen Aufschwung, aber noch so manchesmal vernichtete die Weichsel die Arbeit langer Jahre. Die größte Überschwemmung, die an Furchtbarkeit die des Jahres 1786 übertrifft, war die des Jahres 1871. Der Bericht des dam. Pfarrers Dr.  L a m b e c k  an die königl. Regierung zeuge dafür.

"Am 18ten Februar fing hier das Wasser an zu wachsen bis auf 10 Fuß, stieg allmählich bis auf 19‘, 2", bekam aber keinen rechten Zug, weil sich ungeheure Eismassen aufthürmten. Am 28./2. von 9 Uhr morgens ab stieg das Wasser, ohne daß die Eisdecke sich rührte, so heftig, daß es bald nach 11 Uhr vormittags bereits den Damm in seiner ganzen Länge überstürzte. An Abwehr des dahinbrausenden Stroms durch Kastenschlagen u.s.w. war nicht zu denken und hatten die Wachkommandanten und Wachmannschaften Noth, durch schleuniges Verlassen des Damms ihr Leben zu retten. Das Wasser blieb in fortwährendem Steigen und hatte am 1. März um 5 Uhr abends die Höhe von 29 Fuß erreicht. Furchtbare Eismassen stürzten in die Niederung u. rissen alles mit sich fort, was ihnen entgegenstand. Sämtliche Baumgärten sind theils durch Entwurzelung der Obstbäume, theils durch den Druck der Schollen vernichtet; von den stehenden kostspieligen Grenzen ist keine Spur geblieben. Die bei den Wohnhäusern aufgestapelten Grenzstangen und Pfähle sind verschwemmt; der Damm an vielen Stellen, so bei der Kirche rechts und links bis auf den Grund durchbrochen, eine Menge Schornsteine sind eingestürzt, Scheunen und Ställe fortgerissen, ja ganze Gehöfte spurlos von der Erde verschwunden, so das des Besitzers und Deichgeschworenen August Marohn, des im Felde befindlichen Besitzers August Knof, des Herrmann Janke, des Ernst Fehlauer. Ob Menschen ihr Leben verloren haben, weiß ich nicht, denn alle Kommunication ist durch das dichtzusammengedrängte Eis aufgehoben, [22] aber es ist leider fast zu befürchten, indem an vielen Stellen Nothfahnen aus den Dächern gesteckt wurden und Nothschüsse gethan. Die der Kirche zunächst vorhandenen Besitzer August Marohn, Gustav Lüderitz, Ernst Witt und August Kirste, Reimann und mehrere Einwohnerfamilien flüchteten sich mit ihrem Vieh und den Sachen, die sie in der Angst zusammengerafft hatten, hierher auf den Kirchberg, aber auch da war keine Sicherheit mehr vorhanden, da das Pfarrhaus bereits über 2 Fuß in Wasser stand. Endlich in der höchsten Noth erbarmte sich Gott und ließ das Wasser etwas fallen. Von dem Tage der Überschwemmung an bis heute (2. März) sind hier auf wenigen Quadratruten an Männern, Frauen, Kindern, Einwohnern und Dienstleuten 133 Personen zusammengedrängt, 115 Stück Vieh in meinen und des Lehrers Ställen und in den Vorhallen der Kirche untergebracht. Diese fast alle Nahrungsmittel entbehrenden Menschen werden von mir und dem Lehrer Lüderitz unterhalten; unsere Vorräthe nehmen aber stark ab, und da wir nirgends auskönnen, weil wir auf allen Seiten vom Eise eingekeilt sind, so steht Hungersnot unter uns zu befürchten; schlimmer aber ist es mit dem zahlreichen Vieh, die hier vorhandenen Vorräte von Futter, so knapp wir es auch zumessen, schwinden. Zum Glück sind in der Nähe der Kirche einige Gebäude im Eise liegen geblieben, auf denen Heu und Stroh befindlich ist, welches nicht ohne Gefahr abgetragen wird. Sobald es irgend möglich ist, muß uns von Thorn mit Heu, Schrot, Salz und Lebensmitteln geholfen werden, lange können wir uns nicht mehr helfen."

Dieser Bericht schildert so erschütternd die damalige Notlage, daß weitere Worte überflüssig sein dürften.

Die letzte Überschwemmung erfolgte im Jahre 1879, die jedoch nicht so furchtbar war wie die von 71. Die ältere Generation unserer Stadtniederung hat diese letzten Überschwemmungen noch miterlebt, die jüngere kennt sie nur noch vom Hörensagen. Mehr als 30 Jahre sind seitdem vergangen. Der Damm ist inzwischen reguliert und erhöht worden, so daß er heute vielleicht etwas mehr Sicherheit bietet als damals. Unablässig sind Strombauverwaltung und Deichamt bemüht, durch geeignete Maßnahmen das Land zu schützen, und willig tragen die Bewohner die hohen Deichabgaben in der Erkenntnis, daß nur durch eine gewissenhaft betriebene Vorsorge die drohende Gefahr abgewendet werden kann. Wünschen wir, daß all die Mühe nicht vergeblich sein möge. Hoffen wir, daß nie mehr die Fluten der Weichsel unsere Niederung verheeren werden.


 
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letzte Aktualisierung: 13.03.2004