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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal
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Denkschrift aus Anlaß des 100jährigen Bestehens
Thorn, 1. Oktober 1941

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23], bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.

[beiliegender Zettel]

Kriegswirtschaftliche Vorschriften geboten von der Herausgabe einer würdigen Denkschrift aus Anlaß unseres lOOjährigen Bestehens abzusehen. Wir bitten daher, die beigefügte kurze Niederschrift mit Nachsicht entgegenzunehmen

C. B. Dietrich & Sohn G. m. b. H.


Thorn, 1. Oktober 1941

[1]ie Dietrich's stammen aus Großenhain in Sachsen, einer an der "Hohen Landstraße", wie sie damals genannt wurde, zwischen Leipzig und Dresden gelegenen Ortschaft. Ein aus dem Jahr 1795 stammender Bürgerbrief des Rats zu Großenhain kennzeichnet die Familie Dietrich mit folgenden Worten:, "recht, echt, ehr- und redlich, guter freier und nicht wendischer Natur und Herkommens''. Damit wird neben den charakterlichen Zügen die Deutschblütigkeit des Geschlechts, das aus einer damals auch von Wenden bewohnten Gegend stammt, besonders hervorgehoben. Von Großenhain siedelte Christian Gottfried Dietrich in die damals neue Provinz Westpreußen über, um etwa im Jahre 1800 in der Stadt Thorn ansässig zu werden. Hier richtete sein 1802 geborener Sohn Carl Benjamin Dietrich, Schmiedemeister von Beruf, im Jahre 1841 in einem kleinen, von der Stadt erworbenen Grundstücke an der Breiten Gasse - damals Nr. 88 - eine Nagelschmiede ein, die er mit vier bis fünf Gesellen betrieb. Im Hof dieses Grundstücks waren s. Zt. auf Grund eines städtischen Privilegs die sogenannten Fleischbänke untergebracht. Die Nachfrage nach handgeschmiedeten Nägeln war damals recht bedeutend, da es fabrikmäßig hergestellte Nägel noch nicht gab. Durch zähen Fleiß und kunstgerechte Arbeit gelang es dem tüchtigen Handwerksmeister, den Absatz seiner Erzeugnisse ständig zu erweitern und mit der Zeit auch die handwerksmäßige Herstellung von Bauzubehör, wie Türbeschlägen usw., aufzunehmen.

Die aufsteigende Entwicklung des Unternehmens wurde jedoch unterbrochen, als man in Westfalen und Oberschlesien anfing, Nägel in maschinellem Verfahren herzustellen. Um die durch diese Konkurrenz bewirkte Beeinträchtigung des Absatzes auszugleichen, begann Carl Benjamin Dietrich, neben der handwerklichen Herstellung auch den Einzelhandel mit Schmiedenägeln und einigen anderen Eisenwaren zu betreiben. Die teilweise Umstellung des Hand[2]werkbetriebes auf den Handel und die damit verbundene Umorganisation des Geschäftes führte zu der Gründung eines Handelsunternehmens unter der Firma C. B. Dietrich.

In der für den Betrieb recht kritischen Zeit des Jahres 1858 trat der älteste, damals 15jährige Sohn Emil Dietrich als Lehrling in das väterliche Geschäft ein. Es geschah dies auf den ausdrücklichen Wunsch des Vaters, der dringend seiner Hilfe im Geschäft bedurfte. Der junge Dietrich, Aeltester von 13 Geschwistern, der sich eigentlich dem Baufach widmen wollte, fügte sich angesichts der Notlage, in die Familie und Betrieb geraten waren, dem Wunsche des Vaters. Er ahnte damals sicherlich nicht, daß es ihm vergönnt sein würde, das väterliche Geschäft auf eine ungewöhnlich hohe Entwicklungsstufe zu bringen. Mit der ganzen ihm eigenen Energie machte sich der junge Dietrich an das Werk seines Vaters. Nach Jahren angestrengtester Tätigkeit gelang es ihm, nicht nur die über das Unternehmen hereingebrochene Krise, die sich besonders im Jahre 1866 auswirkte, zu überwinden, sondern in enger Zusammenarbeit mit seinem Vater das Geschäft immer mehr auszubauen und damit die Grundlagen zu schaffen, die für die spätere Entwicklung der Firma C. B. Dietrich von maßgeblicher Bedeutung werden sollten.

Um den durch einen fortgesetzten Aufstieg gekennzeichneten Werdegang der Firma C. B. Dietrich zu verfolgen und in seinen wichtigsten Entwicklungsstufen zu erkennen, bedarf es einer kurzen Erläuterung der damaligen Wirtschaftsverhältnisse.

Bis ungefähr zum Jahre 1867 erfolgte die Bedarfsdeckung an metallischen Rohstoffen und Eisenwaren in Ost- und Westpreußen hauptsächlich durch die rheinisch-westfälische Industrie. Die von ihr hervorgebrachten Erzeugnisse mußten jedoch auf dem umständlichen Seewege über Danzig herangeschafft werden. Eine Ausnahme bildeten das Schmiedeeisen und die geschmiedeten Ackergeräte, die größtenteils in den Hammerwerken in Danzig-Oliva für den preußischen Markt hergestellt wurden.

Eine umwälzende Aenderung der Bezugs- und Absatzlage trat mit der Erschließung des oberschlesischen Montanbezirkes ein, die durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes wesentlich gefördert wurde. Mit der im Jahre 1861 er[3]folgten Eröffnung der Bahnlinie Warschau - Wien erhielt auch Thorn eine direkte Verbindung mit Bromberg und damit auch mit Oberschlesien.

Mit kaufmännischem Weitblick erkannte Emil Dietrich die Möglichkeiten, die sich nun für den Absatz oberschlesischer Produkte im östlichen Raum boten. Er übernahm den Vertrieb oberschlesischer Walzwerkserzeugnisse, wie Stabeisen, Eisen- und Zinkbleche, Drahtfabrikate, sowie von oberschlesischem Kalk und Zement, mußte sich aber fürs erste auf den Absatz in Westpreußen beschränken, da eine Ausdehnung des Handels auf. die östlichen Provinzen in- folge ungünstiger Verkehrsverhältnisse auf große Schwierigkeiten stieß. So kam der Betrieb zunächst trotz wachsender Umsätze doch nicht über den Umfang eines Handelsgeschäftes mittlerer Größe hinaus.

Von der Notwendigkeit überzeugt, daß eine bessere Entwicklung der Wirtschaftsverhältnisse Thorns einzig von guten Bahnverbindungen mit den östlichen Provinzen abhängig sei, setzte sich Emil Dietrich lebhaft für die Schaffung einer Bahnverbindung nach Insterburg ein. Dank der Bemühungen der Thorner Handelskammer und anderer amtlicher Stellen wurde im Jahre 1871 eine Teilstrecke und 1873 der Verkehr auf der ganzen Linie mit Insterburg aufgenommen. Nach Eröffnung der. Eisenbahnbrücke über die Weichsel bei Thorn, der Eisenbahnstrecke nach Hohensalza und in den neunziger Jahren auch der Thorner Uferbahn, als Anschlußstrecke an die Thorn-Insterburger Bahn, ergab sich für die Firma C. B. Dietrich die Möglichkeit, die von ihr vertriebenen Erzeugnisse: der oberschlesischen Montanindustrie auch in den östlichen Provinzen abzusehen. Damit waren die Voraussetzungen für den Uebergang vom Mittelbetrieb zum Großbetrieb gegeben, der seinen Absatz nicht nur in Westpreußen, sondern auch weit nach Ostpreußen hinein und im Gebiet der Provinz Posen fand. Außerdem wurde ein lebhaftes Export-Geschäft nach Rußland gepflegt.

Inzwischen war Emil Dietrich in das Geschäft seines Vaters als Teilhaber eingetreten, nachdem er bereits 1868 in Anerkennung seiner Leistungen Prokura erhalten hatte. Die Firma wurde in C. B. Dietrich & Sohn geändert und nahm weiterhin eine günstige Entwicklung, bis um die Jahrhundertwende über die gesamte deutsche Eisenwirtschaft. eine schwere Krisis hereinbrach - der so[4]genannte Eisenkrach. Die Erfahrungen dieser Jahre und der Wunsch Emil Dietrichs, sein zu hoher Blüte gelangtes Unternehmen der Stadt Thorn krisenfest zu erhalten, führten im Jahre 1903 zur Umwandlung der Firma in eine Gesellschaft, in die zwei auswärtige Großhandlungen als Gesellschafter eintraten.

Für die Firma brachte die Umwandlung in eine Gesellschaft und der nach Ueberwindung der Krise ständig steigende Umsatz die Notwendigkeit mit sich, eine Trennung des Großhandelsbetriebes vom Einzelhandelsgeschäft vorzunehmen und neue Räume zur Unterbringung der stark erweiterten Warenlager zu schaffen. Zu diesem Zweck erwarb die Firma im Jahre 1907 zunächst in Thorn-Mocker ein ca. 40 000 qm großes Gelände, auf dem ein modernes Verwaltungsgebäude und geräumige, durch Gleisanschluß mit dem Bahnhof Thorn-Mocker verbundene Speicher für die Lagerung von Eisen-kurzwaren, groben Eisenwaren und Röhren erbaut wurden. Am l. April 1908 waren die Neubauten so weit gefördert, daß das Großhandelsgeschäft und das Hauptbüro aus der Innenstadt nach Mocker verlegt werden konnten. Im Anschluß hieran wurde dann das alte, inzwischen baufällig gewordene Geschäfts- und Wohnhaus in der Breiten Gasse durch ein modernes vierschössiges Geschäftshaus mit großen Verkaufs- und Ausstellungsräumen ersetzt.

Am 1. Januar 1910 traten die beiden auswärtigen Gesellschafterfirmen ihre Beteiligungen an die Deutscher Eisenhandel Aktiengesellschaft Berlin, ab, die noch heute an der Firma Dietrich & Sohn maßgebend beteiligt ist.

In Anbetracht seiner großen Verdienste um die Entwicklung des Handels der Stadt Thorn wurden Emil Dietrich hohe Auszeichnungen zuteil. Bereits 1876 wurde er in die Stadtverordnetenversammlung berufen; 1882 wurde er zum Mitglied der Thorner Handelskammer und im Jahre 1903 für den Wahlkreis Thorn-Kulm-Briesen zum Mitglied des Abgeordnetenhauses gewählt. 1907 erhielt Emil Dietrich den Titel eines königlichen Kommerzienrates. Er hat auch eine Reihe anderer Ehrenämter bekleidet und war der letzte deutsche Präsident der Thorner Handelskammer.

Mit dem Jahr 1920 trat eine Periode des Niedergangs für die Firma C. B. Dietrich & Sohn ein. Am 18. Januar - ehedem ein Festtag deutscher Ge[5]schichte - wurde Thorn von den Polen besetzt. Der Betrieb verfiel der Beschlagnahme, die Warenbestände wurden für Rechnung des polnischen Staates verkauft und Emil Dietrich unter Anklage gestellt. Diese, aus politischen Gründen gegen Dietrich und seine Firma durchgeführten, nur notdürftig getarnten Gewaltakte, endeten mit der Zerschlagung des Thorner Großhandelshauses, das nach Verlust seiner Mittel und seines Grundbesitzes 1930 in Liquidation gehen mußte. Damit schien das Schicksal dieses alten deutschen Unternehmens besiegelt zu sein.

Der legte Inhaber der Firma Dietrich hatte keine männlichen Nachkommen. Seine einzige Tochter heiratete der spätere Oberregierungsrat Paul Wagner, dessen Sohn Hellmut Wagner, im Weltkriege Offizier, nach Beendigung des Krieges als Volontär in das großväterliche Geschäft eintrat. Indessen blieb auch er von den gegen die Familie Dietrich ergriffenen Zwangsmaßnahmen nicht verschont, mußte Thorn verlassen und sah sich gezwungen, - unter veränderten Verhältnissen - im Reich seine Berufsausbildung fortzusetzen. Bei Ausbruch der Kriegshandlungen mit Polen im Jahre 1939 finden wir ihn als Betriebsführer und Teilhaber pommerscher Eisengroßhandlungen in Stettin, Nach Befreiung des deutschen Ostens kehrte Wagner in seine Heimat zurück und widmet sich jetzt dem Wiederaufbau des alten Thorner Unternehmens, dessen handelsgerichtliche Eintragung durch Nachlässigkeit der polnischen Behörden nicht gelöscht worden war. Die Wiedereröffnung des Geschäftes erfolgte im Januar 1940 mit 3 reichsdeutschen Mitarbeitern. Aus dieser kleinen Anfangsgefolgschaft - an der Spitze Prokurist Körner und Abteilungsleiter Koppen - die sich mit ganzem Einsät; ihren Aufgaben widmet, ist inzwischen eine Belegschaft von nahezu 100 Personen geworden. Der Aufbau der Firma weist gegenüber der früheren Struktur des Unternehmens insofern eine Veränderung auf, als in Anpassung an die bestehenden Richtlinien auf die Wiedereröffnung des Einzelhandelsgeschäftes verzichtet und dafür in dem Stadtgrundstück eine Sonderabteilung für sanitären Installationsbedarf mit neuzeitlichen Ausstellungsräumen errichtet wurde. Da bei der Rückständigkeit der polnischen Baukultur dem Handel mit sanitären Artikeln gerade im Osten eine große Bedeutung zukommt, dürfte die Eröffnung dieser Abteilung besonders begrüßt werden.

[6]In Mocker wird - nachdem die Wiederherstellung der durch Fliegerschäden stark mitgenommenen Gebäude und Speicheranlagen durchgeführt ist -, wie früher das Großhandelsgeschäft in Walzwerks-erzeugnissen und Eisenwaren betrieben. Es ist bereits in vollem Gange und beliefert mit seinen Erzeugnissen die alten Absatzgebiete in Westpreußen, Ostpreußen und Posen, wozu als wertvolle Ergänzung die neu dem Reich angegliederten Gebiete kommen. Damit ist es gelungen, Thorn wieder zum Stapelplatz für Walzeisen, Eisenwaren aller Art und Röhren zu machen, und die Firma C. B. Dietrich & Sohn G. m. b. H., die als eine der wenigen im Osten zum direkten Einkauf beim Stahlwerksverband und bei den anderen in Frage kommenden Verbänden der eisenschaffenden und eisenverarbeitenden Industrie zugelassen ist, kann bereits Jahresumsätze von einigen Millionen RM nachweisen. Abnehmer der Firma sind Wiederverkäufer, Behörden und Großverbraucher, für die Sanitäre Abteilung insbesondere Installations- und Heizungsfirmen, sowie Gas- und Wasserwerke.

Daß die Firma, deren Aufbau in eine Zeit der kriegsbedingten Warenverknappung fällt, der Schwierigkeiten, die sich insbesondere aus der Kontingentierung und dem Fehlen jeder betrieblichen Grundlage ergeben, ohne ernste Rückschläge Herr werden konnte, verdankt sie, abgesehen von dem finanziellen Rückhalt, den sie in großzügiger Weise bei der Deutscher Eisenhandel Aktiengesellschaft fand, in erster Linie der tatkräftigen Mithilfe der Industrie- und Handelskammer und der Unterstützung der zuständigen Berliner, Stellen, Fachgruppen usw., die durch entgegenkommende Behandlung der notwendigen Anträge das der Firma in der Polenzeit angetane Unrecht auszugleichen trachten. Nicht zulegt dankt sie es aber auch der Wertschätzung, die sie sich - über die Zeit ihres Daniederliegens hinweg - bei den alten Geschäftsfreunden, Lieferanten wie Abnehmern, erhalten konnte.

Emil Dietrich hat den neuen Aufstieg des Unternehmens, dem er die besten Jahre seines Lebens gewidmet hat, leider nicht mehr erlebt. Er starb im Jahre 1931 in Berlin, hat aber bis zum Schluß mit vollem Herzen an seine Heimat[7]stadt gehangen. Die Gegenliebe, die er bei seinen Bürgern fand, kam unter anderem darin zum Ausdruck, daß er zum Vorsitzenden und später zum Ehrenvorsitzenden des Thorner Heimatbundes gewählt wurde, welches Amt er bis zu seinem Tode innehatte.

Thorn, am 1. Oktober 1941.



 
weiter: Lageplan Firma C.G.Dietrich & Sohn
   

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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 29.03.2008