HEIM@THORN Editorial - Inhalt Die Thorner Stadtniederung - Inhalt Das Buch - Inhalt
Quelltexte - Inhalt Anhang - Inhalt Die Links Mein Thorn

Generalleutnant a. D. Otto Lüdecke

Die Belagerung und der Ausbruch aus der Festung Thorn


Bundesarchiv, Ost-Dok 2, Paganierung 50-56


 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23] , bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.

Rechtschreib- und Tippfehler wurden bei der Abschrift beibehalten.



[52] Bereits am 21.1.45 stand der Russe mit Teilen vor der Südfront von Thorn südlich der Weichsel. Nördlich der Weichsel näherte er sich der Drewenzstellung, für die ausser den schwachen Sicherheitsbesatzungen keine Truppen zur Verteidigung verfügbar war, wenn nicht geordnete Frontverbände dazu in der Lage waren, rechtzeitig die Stellungen zu besetzen. Die waren aber beim Durchbruch der Russen derart angeschlagen und auseinandergerissen worden, dass es zu einer planmässigen Besetzung nur noch in einzelnen Abschnitten kam.

Am 21.1. gegen 8 Uhr erreichte das stellvertretende Generalkommando XX in Danzig, das nunmehr verantwortlich in seinem Bereich führte, die Meldung aus der Festung Thorn, dass der Russe den nur schwach mit Sicherungen besetzten äusseren Ring durchbrochen habe und vor dem inneren Ring der Südfront stehe. Stärkeverhältnis unklar. In der Nacht vom 21./22.l. sei es ihm gelungen, in ein Fort der Südfront einzudringen.

Die Meldung wurde fernmündlich weitergegeben an das O.K.H., das daraufhin befahl, ich solle umgehend den Festungskommandanten ablösen und in Thorn die Lage wieder herstellen, Thorn sei ein ganz besonders wichtiger Eckpfeiler und müsse unter allen Umständen bis zum letzten Mann gehalten werden. Ich begab mich sofort von Danzig im PKW nach Thorn. Von Marienburg ab über Graudenz - Culmsee waren die Strassen völlig verstopft von zurückflutenden Trecks, die die Weichsel hinter sich zu bringen bestrebt waren. In entgegengesetzter Richtung fuhren Artillerie-Einheiten, Munitionkolonnen und andere Nachschubverbände. Es fehlte überall an Strassenkommandanten, die mit ihren Organen die Verstopfungen zu entwirren in der Lage gewesen wären. Auf diese Weise kam ich erst am 22.1. gegen 23 Uhr in Thorn an und übernahm noch in der Nacht den Befehl. Hier fand ich folgende Lage vor: Der in eines der Südforts eingedrungene Russe war im Laufe des 22.1. im Angriff wieder herausgeworfen worden. Der innere Ring war voll in unserer Hand. Im Aussenring, der aus Mangel an Kräften nicht gehalten werden konnte, befanden sich nur schwache Sicherungen und Spähtrupps.

Die deutsche Zivilbevölkerung hatte Thron nach Westen verlassen bis auf rund 600 Köpfe. Über den Verbleib der Thorner Trecks, die auf Bromberg über die Weichselbrücke Fordon angesetzt waren, vermag ich nichts zu sagen.

Die Festungsbesatzung bestand aus den fragwürdigen Festungsverbänden - sogenannte "Ohren - und Magenbataillone und Abteilungen", Festungs-M.G.Bataillone, Festungs-Pak-Verbände, Festungs-Artillerie-Einheiten, die mit Beutegeschützen verschiedenster Nationen ausgestattet waren - ferner aus einer starken Flak-Bestückung von insgesamt 72 Rohren 8,8 cm und einigen 2 cm Flak-Einheiten, ferner aus den Fahnenjunker- und Unteroffiziersschulen mit ihrem sehr guten Ersatz, sowie aus der noch in der Aufstellung begriffenen 31. Volks-Grenadier-Division unter Führung des Obersten Wolkewitz, die personell vollzählig war, ihr fehlte jedoch für ihre Artillerie noch jedes Geschütz. Ausserdem aus Thorner Volkssturm der in erster Linie Verwendung fand an Stelle der fehlenden Artilleristen zur Bedienung der sogenannten Festungsartillerie. Von den vom O.K.H. vorgesehenen 5 Divisionen war nichts zu spüren.

Der Festungskommandostab war in personeller Zusammensetzung nicht in der Lage, die schwere Kampfaufgabe zu meistern. Ich musste sofort daran gehen, ihn personell so auszustatten, dass er arbeitsfähig wurde, [53] d.h., ihn mit fronterfahrenen Offizieren zu besetzen, die aus der 31. Volks-Grenadier-Division sowie bei den Schulen zu finden waren.

Noch hatte ich Fernsprechverbindung mit der Aussenwelt. Ein Anruf beim 0.K.H. ergab die Zusicherung, dass Thorn zur Verteidigung nur mit 3 Divisionen rechnen könne einschliesslich der 3l. Volks-Grenadier-Division. Zuführung der fehlenden Geschütze wurde mir zugesagt. Sie kamen nicht mehr, hatten wahrscheinlich auf den verstopften Strassen ihr Ziel nicht mehr erreichen können vor der völligen Einschliessung der Festung. Von den zugesagten 2 weiteren Divisionen meldete sich im Verlauf des 3.1. eine stark angeschlagene Division - 7l. (?) Division unter Führung des Generalmajors Schlieper - die aus der Kampfgegend von Warschau kam und deren Nachhuten in Fühlung mit den nachdrängenden Russen standen. Die 2l. vom O.K.H. nach Thorn dirigierte Division erschien nicht. Sie legte wohl auch keinen Wert auf die voraussichtliche Einschliessung.

Die ersten Tage waren voll besetzt mit organisatorischen Aufgaben

  1. der Abschnitss-Einteilung und Einweisung der Truppe in ihre Verteidi-gungsabschnitte.

  2. der Zusammenstellung behelfsmässiger Kampfverbände aus allen Solda-ten der Festung, so weit sie nicht für die Versorgung benötigt wurden.
  3. Die Kopfstärke der Besatzung belief sich insgesammt auf rund 32.000 Mann im Gegensatz zu den 54.000 Köpfen, für die laut O.K.H. die Festung bevorratet wurde, geschweige denn zu den 5 Divisionen, die vom O.K.H. für die Verteidigung zugebilligt waren.

  4. der Überprüfung der tatsächlichen Bevorratung.

    Nebenher lief die dauernde Aufklärung gegen den Feind, die vom 23.1. ab immer engere Fühlung mit dem Russen, sowie die vom Süden über Osten, Norden nach Westen sich vollziehende Einschnürung und Belagerung.

Auf Einzelheiten zu a) und b) einzugehen, ist hier nicht der Platz. Eins muss festgestellt werden, die Moral der Truppe sowie die Verteidigungsbereitschaft und abstossende Kraft der Festungsbesatzung, sowie ihre innere Festigung wuchs von Tag zu Tag angesichts der Teil- und örtlichen Erfolge, die bei einer offensiven Verteidigungstaktik zu verzeichnen waren. Im übrigen waren die die Angriffe der Russen auf Thorn nicht als ernst zu bezeichnen. Er stiess ohne Rücksicht auf diesen "Eckpfeiler" südlich und nördlich durch. Südlich auf Bromberg und Posen - vor Bromberg stand er am 23.1., vor Posen am 24.1. - nördlich auf Kulm und Graudenz. Er überschritt die Weichsel südlich Kulm bei Topolno meines Wissens am 25.1. Nakel und Bromberg fielen am 23.1. in seine Hand. Die im Ausbau befindliche Netzestellung war nicht besetzt, abgesehen von schwachen Sicherungen, die an den Hauptübergängen behelfsmässig zusammengezogen waren. Bromberg selbst wurde verteidigt und umkämpft, ebenso Fordon, wie engere Umgebung der Weichselbrücke. Beide wichtigen Punkte wurden aber vom Russen von Westen umgangen, der von der Netze aus in nördlicher Richtung auf die Ostsee vorstiess mit dem Ziel, die in 0st- und Westpreussen befindlichen Kräfte einzukesseln und ihnen ein zweites Kurland zu bereiten.

Zu c) ergab sich, dass die Bevorratung der Festung zur 3-monatigen Verteidigung durchgeführt war, dass aber das Wichtigste, die Artilleriemunition, nicht im entferntesten mehr vorhanden war. Die Heeresgruppe Mitte hatte mit Genehmigung des O.K.H. in den vorhergehenden Tagen trotz Einspruchs von Thron und des stellvertretenden Generalkommandos XX auf die Festungsvorräte zurückgegriffen. Die Berechnung ergab, dass die Munitionsvorräte gerade für 3 Grosskampftage ausreichten. Ähnlich war die Betriebsstofflage.

Diese Feststellung meldete ich am 23. und 24.1. fernmündlich an das O.K.H. (Generalleutnant Wenk), und wies mit allem Ernst auf den unmöglichen Widerspruch von Munitionsausstattung einerseits und dem Befehl, die Festung zu halten andererseits hin. Die Entscheidung lautete jedoch: Die Festung hält. Munition wird eingeflogen. Auch der Einwand, [54] dass dies über kurz oder lang nicht mehr möglich sein würde, da der Flugplatz von Thorn ausserhalb des zu verteidigenden inneren Ringes liege und kaum noch 2-3 Tage zur Verfügung stehen würde, schlug nicht durch. Das O.K.H. befahl vielmehr, desgleichen das A.O.K.2, dem die Festung am 24.1. unterstellt wurde, innerhalb des inneren Ringes sei beschleunigt ein Flugplatz herzurichten, um die Landung von Nachschub-Jus sowie den Abschub Verwundeter sicher zu stellen. Die Durchführung dieser Anordnung stiess auf unüberwindliche Schwierigkeiten, da innerhalb des inneren Ringes von Thorn kein Landeplatz der notwendigen Grössenmaßnahme eines solchen Rollfeldes aufzutreiben war. Tatsächlich wurde im Verlauf der Belagerung und Einschliessung auch nur in 2 Nächten durch Jus Munition abgeworfen. Ein Tropfen auf einen heissen Stein.

Am 25.1. hatte sich der russische Belagerungsring um Thorn geschlossen. Die durch einen von der Fahnenjunkerschule gestellten, kampfkräftigen, starken Stosstrupp versuchte Verbindungsaufnahme mit der Brückenkopfbesatzung von Fordon blieb ohne Ergebnis. Der Stosstrupp kam heraus fand aber weder nach Fordon noch zurück in die Festung und blieb von Stund an verschollen. Innerhalb der Festung befand sich, wie bereits erwähnt, nur eine schwache deutsche Zivilbevölkerung von rund 600 Köpfen unter Führung von Oberbürgermeister und Kreisleiter, die mir für die die Aufrechterhaltung der lebenswichtigen Betriebe wie Gas, Wasser, Elektrizität und der städtischen Verkehrsmöglichkeiten verantwortlich waren. Die Zusammenarbeit war einwandfrei und reibungslos bis zum letzten Tage. Die sehr viel stärkere polnische Zivilbevölkerung verhielt sich neutral und durchaus korrekt. In wieweit die durchaus begründete Furcht vor dem Russen hierbei mitsprach, vermag ich nicht zu entscheiden.

Die in den Tagen der Belagerung bis zum 1.2. vom Russen angesetzten Angriffe konnten mit Erfolg abgewiesen werden. Zunächst waren ihm die Festungsartillerie und die panzerbrechenden Waffen durchaus überlegen, da die eigene Artillerie so in Stellung gebracht war, dass sie möglichst ohne Stellungswechsel ihren Schwerpunkt in alle Abschnitte verlagern konnte. Vom 25.1. ab bestand mit der Aussenwelt nur noch Funkverbindung und zwar zum 0.K.H. und zum A.O.K.2.

In der Nacht vom 31.l./l.2. ging ein Funkbefehl des 0.K.H. in Thorn ein, etwa folgenden Inhalts: "Operative Lage erfordert sofortigen Durchbruch. Erreichen der eigenen Linien Waldungen nördlich Krone/Brahe. Eile geboten. Absichten unter Mitnahme deutscher Zivilbevölkerung und Verwundeter sowie möglichen Zeitpunkt des Antretens funken."

Hiermit ergab sich eine überaus schwierige Operation, die bei Eingehen auf meine fernmündlich am 25.1. vorgetragenen Bedenken hätte vermieden werden können. Damals wäre noch ein Absetzen ohne starke Feindeinwirkung möglich gewesen und somit eine Rettung von Menschen und Material. Durch Funk meldete ich noch in der Nacht die beabsichtigte Durchführung des Ausbruchs aus der Festung zurück mit der Maßgabe, dass ich antreten werde 6 Stunden nach Eingang eines diesbezüglichen Befehls. Am 1.2. gegen 15 Uhr traf der Funkspruch etwa folgenden Inhalts ein: "Mit Absichten einverstanden, antreten !"

Ich setzte daraufhin den Beginn des Angriffs auf den 2.2. um 0.00 Uhr fest. Es kam darauf an, den Angriff überraschend zu führen, darauf waren alle Maßnahmen abgestellt. Die Absicht war, auf kürzestem Wege nördlich Fordon die Weichsel zu überschreiten und das Ziel nördlich Krone zu erreichen. Angriff mit 3 Angriffsgruppen. Rechts 71. Infanterie-Division, Mitte Fahnenjunker- und Unteroffiziersschule mit Festungstruppen, links 3l. Volks-Grenadier-Division. Alle 3 Gruppen hatten starke Nachhuten auszuscheiden, die den Abzug aus Thorn zu decken hatten. In der mittleren Angriffsgruppe war die deutsche Zivilbevölkerung eingegliedert, die Verwundeten bei der motorisierten Staffel, die der 3l. Volks-Grenadier-Division angehängt war. Starker Frost und hohe Schneelage erschwerten das Unternehmen erheblich. Soweit möglich war [55]






[56] Während der Durchbruchskämpfe war von deutschen Trecks nichts mehr wahrzunehmen. Inwieweit die deutsche Zivilbevölkerung Thorns die eigenen Linien erreichte, vermag ich nicht zu sagen. Sie stand unter Führung ihres Oberbürgermeisters und des Kreisleiters, die beide den Anschluss erreichten.

Von den rund 32.000 Köpfen der Thorner Besatzung erreichten rund 19.000 Mann die eigenen Linien. Es mögen noch manche versprengten Teile an andern weiter westlich gelegenen Frontabschnitten den Anschluss wieder erreicht haben. Das konnte aber beim Verlauf der schweren Abwehrkämpfe nicht mehr einwandfrei festgestellt werden. Der Russe meldete in seinen Heeresberichten über den Durchbruch 3.000 Gefangene und rund 3.000 Gefallene. Mancher Kämpfer hat aus Erschöpfung und Übermüdung den Anschluss verloren und ist auf diese Weise in russische Gefangenschaft geraten, denn Tag und Nacht kam die Truppe nicht zu der dringend erforderlichen Ruhe.

Die 7l. Division wurde am 8.2. bereits im Rahmen der 2. Armee wieder in der Front eingesetzt. Die 31. Volks.Grenadier-Division wurde zurückgezogen und bedurfte der Wiederauffrischung. Die im Kampfwert geringen Festungsverbände waren als Einheiten nicht mehr verwendbar. Offiziere und Mannschaften wurden zur Auffüllung der angeschlagenen Einheiten der 2. Armee verwendet. Meine Aufgabe war damit abgeschlossen.


 
zurück:      Bundesarchiv, Ost-Dok. 1, Nr. 81, Kreis Thorn - Übersicht
zurück:      Bundesarchiv, Ost-Dok. 2, Nr. 62, Kreis Thorn - Übersicht
 

HEIM@THORN Editorial - Inhalt Die Thorner Stadtniederung - Inhalt Das Buch - Inhalt
Quelltexte - Inhalt Anhang - Inhalt Die Links Mein Thorn

© 2000   Volker J. Krueger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 08.01.2009