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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Neva Martin

Autobiografie

geschrieben an der Highschool in den USA 1934


übersetzt und eingereicht von Heidi Kirste



Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text Die Auswanderer aus dem Kreise Thorn
  [Genealogische Daten der westpreussischen Vorfahren des Schreibers]

Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23], bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.

Mein Urgroßvater mütterlicherseits, Friedrich August Kirste, wurde am 16. Mai 1812 in Westpreußen geboren. Seine Frau, Regine Wilhelmine Krampitz, wurde am 7. März 1818 geboren.

Nach ihrer Heirat lebten sie auf einer kleinen Insel im Fluss Weichsel, bis eine Eisblockade, die den Fluss aufgestaut hatte, ihr Haus wegschwemmte und sie alles verloren was sie besaßen. Beide wurden sehr alt und starben im Alter von über achtzig Jahren.

Mein Großvater, Ernst Reinhold Kirste, wurde am 5. April 1848 in Rossgarten bei Thorn in Deutschland geboren. Er war das dritte von sechs Kindern in seiner Familie. Er wurde im Jahr 1862 im Alter von 14 Jahren von Pastor Dr. Lambeck konfirmiert.

1863 ging er zur Marine und war Seemann bis 1868. Dann diente er von 1869 bis 1872 als Soldat. Während seiner Soldatenzeit befand sich Deutschland im Krieg mit Polen*), aber er musste nie eine Schlacht kämpfen. Nach seiner dreijährigen Soldatenzeit wurde er ehrenhaft aus der Armee entlassen und wanderte nach Amerika aus, er war 24 Jahre alt. Eine Zeit lang lebte er in Illinois mit seiner älteren Schwester, die ebenfalls ihre alte Heimat verlassen hatte.

Als mein Großvater nach Amerika kam, konnte er die amerikanische Sprache nicht sprechen, deshalb besuchte er kurze Zeit die Schule, um Lesen und Schreiben zu lernen. Er war in der Anfängerklasse, aber obwohl er ein erwachsener Mann war machte es ihm nichts aus, weil er bemüht war, die Lebensart seines neuen Landes kennen zu lernen.

Meine Großmutter, Helena Veronika Kaforke, wurde am 2. April 1861 in Deutschland in Brandenburg an der Elbe geboren. Sie kam 1866 im Alter von fünf Jahren mit ihren Eltern nach Amerika. Sie war zu jung, um sich an vieles von ihrer Reise zu erinnern. Sie erreichten Amerika am Ende des Bürgerkrieges. Sie wurden in Illinois sesshaft und hier traf sie auch meinen Großvater und heiratete ihn, als sie erst 16 Jahre alt war. Weil Großvater dreizehn Jahre älter war als sie, wollte er ihr sein Alter nicht sagen, bevor sie mindestens ein Jahr verheiratet waren.

Sie lebten zwei Jahre in Illinois, wo ihr erstes Kind zur Welt kam. Danach siedelten sie zusammen mit ihrem einzigen Kind in den Bezirk Webster nach Nebraska um. Hier lebten sie acht Jahre auf einer Farm, und hier wurden fünf Kinder geboren, meine Mutter Louise war eines von ihnen.

Ein besonders Aufsehen erregendes Ereignis gab es als sie in der Siedlung Webster wohnten. Einer von Großvaters Nachbarn, Leonard Rall, hatte einen Mann eingestellt, der für ihn arbeiten sollte. Eines Tages fuhr Mr. Rall in die Stadt, der eingestellte Mann kam mit ihm. Er wusste, dass Mr. Rall Geld mitgenommen hatte. Deshalb versteckte er im Wagen ein Beil unter etwas Stroh. Auf dem Heimweg von der Stadt nahm er das Beil und ermordete Mr. Rall, raubte sein Geld und versteckte ihn in einem Strohsack. Dieser Mann kam nicht sehr weit bevor er gefasst und nach Blue Hill zurück gebracht wurde und ins Gefängnis geworfen wurde. Die Nachbarn waren so zornig, dass sie sich zusammenschlossen und ihn aus dem Gefängnis holten, um ihn zu hängen. Mein Großvater war auch dabei. Der Mann hatte ein Seil um den Hals und wurde gerade hochgezogen, als der Polizeibeamte erschien und das Seil durchschnitt. Er wurde zurück ins Gefängnis gebracht und zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Später wurde berichtet, dass er nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis Prediger geworden war.

Nachdem meine Großeltern acht Jahre in Blue Hill gelebt hatten, zogen sie in den Bezirk Furnas, wo mein Großvater die Bearbeitung eines Gehöfts oder Waldbesitzes aufgenommen hatte. Sie zogen in einem Planwagen um und brachten ihre Kühe, Pferde und ihren ganzen Besitz mit. Sie lebten in einem Unterstand auf einer benachbarten Farm, bis er auf seiner eigenen Farm einen Unterstand und auch einige weitere notwendige Gebäude gebaut hatte.

Drei weitere Kinder wurden im Furnas County geboren, sie bildeten eine Familie mit acht Kindern, sechs Mädchen und zwei Jungen.

Meine Mutter war drei Jahre alt, als sie hierher kamen. Mein Großvater musste im ersten Jahr die Grasnarbe aufbrechen und zuerst das Gras abbrennen. Eines Abends zog er mit den älteren Kindern los, um einen Streifen Gras abzubrennen. Meine Mutter, damals ungefähr vier, folgte ihnen, ohne dass sie es bemerkten. Als das Feuer näher kam sah mein Großvater sie und schnappte sie gerade noch rechtzeitig, um ihr Leben zu retten. Sie sagt, sie erinnert sich immer noch an die Flammen, die hoch in den Himmel hinter ihr aufloderten.

Mein Großvater liebte immer Musik und Gesang. Er leitete einige Winter eine Gesangsschulklasse an der Good Hope Schule, die fünfeinhalb Meilen entfernt war und zu der er mit Pferd und Wagen fuhr oder ritt.

Obwohl sie viel Not leiden mussten wie alle Pioniere, lebten sie, um sich ein bequemes Heim auf ihrem Gehöft zu bauen und genossen es viele Jahre. Mein Großvater starb am 15. November 1925 und meine Großmutter am 6. Juli 1927. Nach ihrem Tod übernahm ihr ältester Sohn Reinhold Kirste mit seiner Frau und seinem Sohn die Farm, wie es Großvater gewünscht hatte.

Meine Mutter, deren Mädchenname Louise Helena Kirste war, wurde am 8. Dezember 1883 in Blue Hill, Nebraska, geboren.

Meine Mutter heiratete am 20. März 1904 meinen Vater Robert Letson Martin. Drei Jahre lebten sie auf einer Farm meines Großvaters Martin. Hier wurde meine Schwester Nyrna geboren. Dann zogen sie auf die Farm von Fred Masters und kauften sie ein Jahr später. Hier leben wir bis heute. Meine anderen Schwestern Irma, Glenva und ich und mein einziger Bruder Bobby wurden hier geboren. Unsere Farm liegt drei Meilen südlich von Hendley.

Ich hatte einen schweren Unfall, als ich gerade drei Jahre alt war. Mein Vater mahlte Korn mit einem Mahlstein, der von einem Pferd angetrieben wurde. Meine Schwester Glenva, zwei Jahre älter als ich, ging im Kreis hinter dem Pferd her. Es war früh am Morgen, und nachdem ich aufgestanden war machte meine Mutter mir Frühstück und zog mich an. Ich ging raus zu der Stelle, wo sie das Korn mahlten. Ich wollte auch hinter dem Pferd her laufen, und mein Vater sagte, ich sollte in den Kreis kommen. Das tat ich, kam aber zu nahe an den Mahlstein. Ich suchte Halt und griff mit meiner rechten Hand in die sich drehenden Zahnräder. Mein Vater sah das, riss mich hoch, aber nicht schnell genug. Danach müssen meine Eltern eine Zeit ziemlich hysterisch gewesen sein. Sie beschlossen, mich so schnell wie möglich ins Brewster Hospital nach Beaver City zu bringen. In ihrer Aufregung schafften sie es nicht, das Auto zu starten, also riefen sie sofort unseren Nachbarn Bert Stearns an, der uns hin fuhr. Der Arzt war nicht in der Stadt, und es wurde Mittag, bis er endlich kam. Die Ärzte gaben mir Schlafmittel und taten alles was sie konnten für mich. Meine Eltern blieben über Nacht bei mir im Krankenhaus. Ich habe immer noch den Mantel, den ich damals trug, mit der Stelle, die aufgeschnitten werden musste, genauso wie mein Kleiderärmel, um mein Hand heraus zu bekommen. Weil ich noch nicht sehr alt war hatte ich noch nicht viel geschrieben, so war es kein Problem, mich auf die andere Hand umzustellen.

Im April 1924 erlebten wir einen schrecklichen Tornado, der alle unsere Gebäude beschädigte, mit Ausnahme der Kornkammer. Am schwersten beschädigt waren die Scheune, die nur vier Jahre vorher gebaut worden war und die größte in der Gegend war, der Schweinestall, 60 Fuß Viehstall, ein zweistöckiges Hühnerhaus und verschiedene andere Gebäude. Gebäudeteile wurden später über zwei Meilen entfernt von der Farm gefunden. Dieser Tornado kam in der Abenddämmerung, als mein Vater gerade Kühe in die Scheune trieb. Ein Arbeiter war ebenfalls draußen. Sie rannten los Richtung Haus, als sie das Krachen der Scheune hörten. Als mein Vater gerade einen Schritt aus der Scheunentür heraus gemacht hatte, wurde es einen Moment ganz schwarz und er blieb gerade noch rechtzeitig stehen, als die Spitze des Scheunendaches vor ihm auf den Boden krachte. Nachdem der schlimmste Sturm vorüber war, probierten sie weiter zum Haus zu kommen. Mein Vater hing über einem Zaun und der Arbeiter lag in einem schmalen Graben vor der Garage. Bis auf zwei waren alle Fenster im Haus von Brettern zerbrochen worden, die durch die Glasscheiben und Fensterrahmen hindurch ins Haus geschleudert worden waren.




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*) Anmerkung des Verfassers: Wahrscheinlich meinte Neva Martin den deutsch-französischen Krieg 1871/72. Es ist - auch in Polen und Deutschland - viel zu wenig bekannt, dass es zwischen Deutschland und Polen nur einen einzigen Krieg gab, nämlich den von 1939. Die letzte kriegerische Auseinandersetzung vor dem Zweiten Weltkrieg fand zwischen Deutschen und Polen 1410 bei Tannenberg statt und zwar zwischen der polnischen Krone und dem Deutschen Orden, der aber einen eigenständigen Staat darstellte und dessen Territorium nicht zum Römischen Reich deutscher Nation gehörte.


 
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© 2000   Volker J. Krüger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 13.03.2004