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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Pfarrer Heinz Krause  † 4.3.2001



Die winterliche Weichsel

Bei aller Schönheit hatte der Strom seine Tücken und Gefahren




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Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23], bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.




Heinz Krause

[..]

Die Schönheit des Stromes ist oft besungen worden, von seiner Nützlichkeit wurde immer wieder berichtet, auch von Hochwassern und Überschwemmungen und den dabei entstandenen Nöten. Wenn im harten Winter das Eis "stand" und begehbar wurde, ist dieses von den Anwohnern des Weichsellandes meist begrüßt worden, wurde doch so eine natürliche "Brücke" von Ufer zu Ufer geschaffen. Nun soll heute hier an einigen Beispielen aufgezeigt werden, mit welchen Gefahren das Überqueren des mächtigen Stromes verbunden sein konnte - auch wenn er unter der dicken Eisdecke gebändigt schien.

In eine sehr strengen Winter - die Thorner Eisenbahnbrücke war noch nicht gebaut - wurde in Rudack, einem Dorf auf dem linken Weichselufer (gegenüber von Thorn) bei dem "Einsassen Günther" ein Kind geboren. Es sollte baldmöglichst getauft werden, wie es damals üblich war. Die Beeilung mit der Taufe hatte aber auch noch einen zweiten, sehr handfesten Hintergrund: Noch hielt das Eis der Weichsel und damit war der Weg zur Kirche auf dem rechten Weichselufer wesentlich näher.

Es lag eine reiche Schneedecke über dem weiten Land. Die Pferde, gut ausgeruht, liefen schnell. Die Hinfahrt zur Kirche per Schlitten über die Felder und das Eis ging gut vonstatten. Der kleine Täufling war von der Mutter, die selbst noch nicht hatte mitfahren können, in warmen Daunenkissen gut verpackt den Paten übergeben worden. Bald war der Neustädtische Markt Thorns erreicht und damit das Ziel der Fahrt, denn Rudack gehörte damals noch zur Neustädtischen Kirche. Hier fand die Taufe statt. Die Taufgesellschaft ging zurück zur Ausspannung und hier blieb bis zur Abfahrt sicherlich noch Zeit für ein paar Glas Grog, sozusagen zur Erwärmung nach der kalten Kirche und auch als Zurüstung für die kalte Rückfahrt. Die Pferde hatten sich auch ausgeruht und in flotter Fahrt überquerte man die Jakobsvorstadt, überwand die ziemlich steile Böschung zum Fluß fuhr über die abgesteckte Eisbahn und wollte eben die jenseitige Uferböschung hinauf, da verfehlte der Schlitten die ausgefahrene Bahn, kippte um, und alle landeten in einer tiefen Schneewehe. Das war nicht weiter schlimm. Schnee ist welch. Man rappelte sich auf, klopfte die Pelze ab, sammelte die Decken und alles zusammen, bestieg den Schlitten. Ab ging die Fahrt.

Zu Hause angekommen wurde von den fröhlichen Ereignissen berichtet. Da fragte die Mutter nach dem kleinen Täufling - vergeblich! Die Pelze, der Schlitten, alles wurde abgesucht. Das Kind war weg. Nun entsann man sich des Umkippens, die Pferde wurden angespannt und in rasender Fahrt ging es zur Uferböschung. Und siehe da: Tief in der Schneewehe geschützt vor Wind und Kälte lag wohl verpackt in seine Kissen der schlafende Täufling. Nichts war ihm passiert - eine seltsame Weichselüberquerung!

Das Nachstehende hat sich Ende der zwanziger oder Anfang der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts im Dorf Altthorn, westlich der Stadt Thorn gelegen, zugetragen. Die Frühlingssonne hatte nach einem strengen Winter den Schnee geschmolzen, aber das seit Wochen eine schöne Verbindung zu dem gegenüberliegenden Dorf Nessau herstellte, lag noch fest und unbeweglich, zumal die Nächte immer noch scharfen Frost mit sich brachten. Da beschloß das Ehepaar Klamant in Altthorn. die Gelegenheit zu nutzen, um einen Besuch bei den in Nessau wohnenden Verwandten, der Familie Pansegrau, zu machen.

Ein leichter Einspänner-Wagen brachte das Ehepaar schnell durch die Niederung bis an den Damm und durch die Kämpen an die gut markierte Bahn auf dem Eis. In kurzer Zeit waren, sie über den Strom und die jenseitige Uferböschung auf der anderen Seite und zum Mittag bei den Verwandten.

Um die Kaffeezeit machten sie sich auf den Rückweg, um noch bei Tageslicht den Strom überqueren zu können. An der Uferböschung stutzte das Pferd, da sich am Rande des Eises Schmelzwasser abtauender Schneereste gesammelt hatte. Kurz angetrieben zog das Pferd den nachfolgen Wagen mit einem Ruck auf das Eis.

Da barst die Eisdecke und das Pferd mit dem Wagen versank in den eisigen Fluten. Frau Klamant wurde aus dem Wagen auf das feste Eis geschleudert, der Mann trieb auf dem offenen Wasser getragen von dem schweren FahrpeIz. Mit äußerster Mühe gelang es der Frau, den Mann auf das Eis zu ziehen - dem Tod des Ertrinkens noch entronnen. Pferd und Fuhrwerk wurden nie mehr gefunden. Die Hauptsache war, daß die Menschen sich hatten retten können.

Im Winter 1941/42 standen meine Frau und ich das letzte Mal am Ufer der "stehenden" Weichsel. Wir waren mit dem Zug von Bromberg kommend bis Weichseltal gefahren und wollten nun den Weg zum heimatlichen Bösendorf "ob jensiet" abkürzen. Ein freundlicher Verwandter hatte uns bis an die Böschung gebracht und zeigte uns noch den mit Weidenruten abgesteckten Pfad. Vor uns lag die weite, ganz ebene Fläche - nur etwa vierhundert Meter breit. Aber wir wußten: Darunter lag der Strom.

Die Nacht legte sich über das Tal. Wir zögerten. Der Begleiter entließ uns mit mutmachenden Worten, und wir betraten das Eis. Eine ungeheure Stille umgab uns auf der schneebedeckten weiten Fläche. Es ging sich so mühelos und wir kamen schnell voran. Es schien alles so harmlos und ungefährlich. Als wir kurz vor dem Verlassen des Eises waren und die Uferböschung schon zum Greifen nahe war, ertönte dieses unvergeßliche Dröhnen und Knacken des Eises. Es geschah nichts. Der Fluß hatte nur die weite Eisfläche gedehnt. Uns aber war es so, als wollte er sich bemerkbar machen, uns sagen: "Ich bin da". Schnell eilten wir ans Ufer. Der Strom war wie ein gefesseltes Tier, das sich aber befreien und zuschlagen kann. Wir liebten sie nicht nur, wir fürchten sie auch - unsere Weichsel.



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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 13.03.2004