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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Heinz Krause  † 4.3.2001

Der Galgenberg bei Thorn

aus
Thorner Nachrichten,
Ein Heimatbote der Patenstadt Lüneburg für die ehem. Thorner aus Stadt und Land,
Nr. 23, April 1992, S. 18-20.


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Heinz Krause

[18] Eigentlich ist es nicht verwunderlich, daß ein solcher Begriff bei zwölfjährigen Jungen die Phantasie anregt: "Ein Galgenberg" sollte da auf der Kulmer Vorstadt sein? Wir waren noch nicht lange in Thorn in Pension, um hier das Gymnasium zu besuchen, und da hatte die nette Pensionsinhaberin so ganz nebenbei einmal jenen mysteriösen Berg erwähnt. Das interessierte uns und wir, das sind die drei Jungen aus unserer Pension auf der Bromberger Vorstadt, beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Der nächste freie Nachmittag empfahl sich für die Suchaktion. Die Kulmerstraße gingen wir in Richtung des Bahnhofs Thorn-Nord, ließen die Bäckerberge links liegen und sahen dann einen Hügel sich erheben (damals um 1923 war die Gegend noch nicht so bebaut). Er war nicht so hoch, mußte aber wohl früher von allen Seiten sichtbar gewesen sein. Man hatte uns gesagt, daß alle größeren Städte, die eigene Gerichtshoheit besaßen, früher solche Hinrichtungsstätten gehabt hätten und zwar vor den Toren der Stadt. Und dieser Berg in Thorn lag keine 2000 Meter vor dem Platz, wo sich früher das Kulmer Tor befunden hatte, eines der Tore der mauerumringten Stadt. Der Berg sah jetzt etwas verwildert aus, so als ob sich niemand um diese Stätte kümmern mochte. Da standen oben ein paar Büsche und sonst nichts, nicht einmal ein Galgen. Wir suchten noch nach Marterwerkzeugen und Knochenresten - nichts. Sehr enttäuscht traten wir den Heimweg an.

[19]Erst sehr viel später entnahm ich Schilderungen, bzw. Chroniken, wie oft im Laufe der Jahrhunderte Delinquenten wohl den Galgenberg bangen Herzens mögen bestiegen haben bei ihrem letzten Gang. Die Verurteilungen der Gerichte früherer Zeiten waren durchweg härter als heute und die Vergehen wurden strenger geahndet. Wernicke (Geschichte Thorns Bd. II S. 175) berichtet, daß bis zum Jahre 1821 eine "Henkerei" in Thorn in der "Scharfrichtergasse" ihren Sitz hatte. Sie war bis dahin eine ständige städtische Einrichtung. Über die Tätigkeit der Inhaber dieser Institution ist in den zahlreichen Schilderungen des sogenannten "Thorner Blutgerichts" vom Jahre 1724 ausführlich berichtet. Dabei ist anzumerken, daß sogenannte politische Vergehen meist auf dem altstädtischen Markt mit dem Schwert geahndet wurden. Dagegen endete das Leben gewöhnlicher Missetäter auf dem "Galgenberg" - als abschreckendes Beispiel auf dem Berg weithin sichtbar für alle. Geringer wiegende Übertretungen der Gesetze brachten Geldstrafen, Arrestierungen, Andenprangerstellen oder Ausweisung aus dem Gebiet der Stadt. Aber auch uns heutigen orientalisch anmutende Strafen waren nicht unüblich. So wird berichtet, daß einem Schneidergesellen im Jahre 1608 die rechte Hand abgehauen wurde, weil er einem anderen Manne einen Finger abgeschossen hatte.

Zu den Verfahren auf dem Galgenberg selbst seien zwei Episoden erzählt, die die makabren Umstände erahnen lassen, die aber, jede auf ihre Weise, eine abmildernde Note in sich trägt.

Da war einmal ein Mann zu Anfang des Jahres 1629 zum Tode am Strang verurteilt worden. Die Quelle der Berichterstattung (M. Biskup "Torun, dawny i dzisiejsky" S. 210) nennt weder den Namen des Delinquenten noch sein Vergehen, schildert aber die Ereignisse am 16. Februar 1629 auf dem Galgenberg sehr anschaulich. Man hatte den Mann aus der Stadt "vor das Tor" herausgeführt, ihm den Strick um den Hals gelegt und befohlen, die Leiter am Galgen zu besteigen. Kaum hatte er die oberste Sprosse erreicht und sich noch einmal nach der Schönheit dieser Welt umgesehen, ehe ihm die Leiter unter den Füßen weggezogen wurde, da erblickte er von seiner luftigen Höhe aus eine heranziehende Streitmacht. Er schrie: "Die Schweden kommen". Seine Bewacher überzeugten sich von der Richtigkeit seiner alarmierende Meldung und zogen sich eilends mit dem Delinquenten hinter die schützenden Tore der Stadt zurück, nachdem die Wachen alarmiert waren. Tatsächlich gelang es dank dieser frühen Meldung, die ganze Stadt in Verteidigungsstellung zu bringen und das heranziehende Heer des schwedischen Feldmarschalls Wrangel aufzuhalten. Er zog, nachdem der Überfall mißglückt war, nach kurzer Belagerung der Stadt wieder ab. Der Delinquent, der durch seine schnelle Alarmierung die Stadt gerettet hatte, brauchte nicht noch einmal den Galgen zu besteigen, sondern erhielt als Dankeslohn die Aussetzung der Strafe.

Ganz anders der Bericht des Pfarrers Liebelt aus Gurske, den er im Sterberegister seiner Gemeinde (S. 497) [20] im Dezember des Jahres 1764 aufgezeichnet hat: "Den 14. Dec. ist Elisabet Sichin, eine Dienstmagd aus Guttau (ein Ort bei Pensau) wegen an ihrem in Unehren erzeugten Kinde begangenen Mordes in der Stadt vor dem Culmischen Thor (Galgenberg) enthauptet ... und von mir als ihrem ordentl. Beicht-Vater zu ihrem Tode begleitet worden." Die Kirchenbucheintragung, die weiterhin von der Reue und der Bußfertigkeit der Hingerichteten berichtet, schließt mit drei einzelnen Buchstaben S.D.G., was nur bedeuten kann: Soli Deo Gloria (Allein Gott ist die Ehre). Es klingt seltsam nach der Schilderung der Todesumstände auf dem Galgenberg, bezieht sich aber sicher auf das getroste Sterben der Elisabet Sichin. Sie verließ sich nämlich, so erzählt erschüttert Pfarrer Liebelt, voll und ganz auf die Barmherzigkeit Gottes und hoffte, daß die Gnade, die Jesus dem Schächer am Kreuz zugesagt hatte, auch ihr zuteil werden würde.

Auf dem heutigen Stadtplan von Thorn ist der "Galgenberg" nicht mehr vorhanden. Er ist sicher längst nivelliert und vielleicht bebaut. Aber auf der Skizze des George Steiner vom Jahre 1740 ist ein Berg mit der Bezeichnung "Der Galgen" eingezeichnet. Auch auf der topographischen Karte von 1938 ist der Galgenberg noch vermerkt. Dann verliert sich seine Spur. So verändern sich die Dinge und fallen der Vergessenheit anheim.



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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 13.03.2004