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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Gustav Freytag

Marcus König


Vollständige Ausgabe


Paul Franke Verlag
Berlin 19??

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Die ersten drei Seiten

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23], bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.

[1]

1. Im Jahr 1519.

Im Preußenlande ging die Herrschaft des kalten Winters zu Ende. Noch lastete auf Flur und Wald der Schnee und über dem Wasser der Weichsel starrte geborsten und in riesigen Schollen zusammengeschoben die Eisdecke. Aber ein lauer Westwind, der erste Vorbote des Frühlings, hatte zur Fastnacht mit neuem flockigem Weiß die missfarbige Landschaft überzogen. Der leichte Flaum der Wolken deckte die kahlen Stellen der Heide, welche der Nordsturm gefegt, er verbarg die Fährten der Wölfe und die Stapfen der Raubvögel, die Gleise der Schlitten und die braunen Steige, welche der Fuß des Menschen gedrückt hatte. Jedes Turmdach und jeder Vorsprung der Häuser, die Kiefer im Walde und der Wacholder am Moor waren geschmückt mit glitzernden Kappen.

Am Ufer des Stromes lag die Altstadt und die Neustadt, welche den Namen Thorn führten und einem Rate gehorchten, noch durch Mauern voneinander geschieden und durch Tore, welche in der Nacht verschlossen wurden; nach außen aber gegen die Landschaft eine einige Burg mit vielen stolzen Türmen, auf drei Seiten von einem breiten Graben umgeben; an der vierten wälzte sich unter der Eisdecke das wilde Weichselwasser. Ungern ertrug es die lange Brücke, welche die Bürger erst vor kurzem gezimmert hatten, damit ihnen der Verkehr nach Polen bequemer sei.

Dreihundert Jahre hatte dies feste Feldlager deutscher Arbeiter an der Slawengrenze bestanden, zuerst war es von Holz gewesen, dann hatten die Ansiedler sich eine Mauerrüstung aus gebrannten Steinen errichtet. Als Eroberer waren die ersten Burgmannen an den Heidenstrand gezogen, als Herren fühlten sich die Nachkommen noch jetzt zwischen Slawen und deutschen Edelleuten. Klugen Sinn im Rat und harte Faust zur Tat rühmte man an ihnen überall im Lande, doch wurden [2] sie auch herrisch gescholten und eigennützig, aber sie behaupteten ihren hohen Mut unter lauernden Gegnern und offenen Feinden. Und wenn die Stadt aus ihrem Artushofe die Söhne alter Geschlechter zur Landesmusterung sandte, so trug der Fähnrich ein Banner von rotem Tuch, worauf ein Salamander zwischen Flammen gemalt war, mit der stolzen Umschrift: "Ich werde dauern." Saßen die Männer von Thorn auch nicht in der größten Stadt des Weichsellandes. - denn Danzig an der See war mächtiger geworden, - sie freuten sich doch des Vorrechts der ältesten, ihre Bürgermeister führten den Vorsitz im gemeinsamen Rat der Städte, als Glieder der Hansa waren sie heimisch auf den Kontoren von Lübeck und Brügge und übten Herrenrechte an dem Strand von Schonen, wo das Stadtzeichen über den Lagerhäusern ihrer Fischer befestigt war.

Sie waren Deutsche geblieben und sahen mit geheimer Verachtung auf die polnische Unordnung jenseits der Weichsel, aber über ihre Stadt schwebte gebietend der weiße Adler der Polen. Denn zur Zeit der Großväter hatte sich das ganze Weichselland von Thorn bis zur See gegen den verdorbenen deutschen Orden empört und der Krone Polen unterstellt, weitab im Osten lag das verkleinerte Ordensland wie eine Insel zwischen dem Meere und slawischem Gebiet. Auch diesen Landrest sollte der Hochmeister nur als Vasall der Krone Polens regieren, und da der junge Herr Albrecht von Brandenburg, welcher jetzt auf dem Hochmeisterstuhle saß, die Lehens-huldigung noch nicht geleistet hatte, so wurde er in den Städten des polnischen Preußens mit Argwohn und Haß betrachtet. Denn überall zürnte und spottete man über den Verfall des Ordens, und die Bürger wurden nicht müde, arge Geschichten von Druck, Freveltat und nichtswürdiger Schwäche der alten Kreuzritter zu erzählen. Auch die weltklugen Männer, welche in dem rate von Thorn saßen, haßten den Gedanken an eine Rückkehr der tyrannischen Ordensherrschaft und dachten feindselig an ihre Landsleute [3] im Ordensland. Sie hofften für sich und ihre Stadt aus dem großen Polenreiche ein fröhliches Aufblühen, sie verstanden trefflich, sich von dem Könige als Belohnung ihrer Treue wertvolle Vorrechte zu erhandeln und sie wunderten sich zuweilen, dass ihrer Stadt ein völliges Gedeihen doch nicht wiederkehren wollte. So glichen sie Matrosen, welche sich beim Schiffbruch gegen den schlechten Schiffsmeister empört und auf einem Boot an das Land gerettet haben; und sie sahen hinüber nach dem verlassenen Schiff und auf die bedrängten Maate, welche bei dem Meister zurückgeblieben waren, in einem finsteren Groll, der vielleicht verstärkt wurde durch geheime Mahnung des Gewissens.

Wer aber heut die Gassen der Stadt betrat, der merkte nicht, dass die Bürger durch schwere Händel und Kriegsgefahr bedrängt wurden. Es war Wochenmarkt in der Fastnacht, das lustigste Frühlingsfest der Stadt. Durch die klare Luft klang das Morgengeläut der kleinen und großen Glocken, jede der metallenen Stimmen redete vertraulich dem Stadtsohne zum Herzen, denn in jeder vernahm er den Gruß eines Schutzheiligen der Stadt und jede hatte hohe Stunden seines eigenen Lebens geweiht. Vor allem erhob den ehernen Gesang das schöne Geläut der heiligen Jungfrau, welcher die erste Rede gebührte, da sie für die himmlische Gebieterin des ganzen Preußenlandes galt, wie im Wettstreit antworteten aus der Neustadt der große Jakob und die scharfe Stimme der Dominikaner von St. Nikolaus, gleich darauf folgten mit schnellem Schwunge und hellem Gebimmel alle kleinen Bethäuser und Kapellen. Aber am liebsten lauschten die Bürger in der Altstadt auf den Ruf der Pfarrkirche von St. Johannes, und sie hatten die Absicht, dort eine neue Riesenglocke aufzuhängen, welche zu allem Gesange der Luft den Baß hallen und die Ehre der Stadt in der Landschaft vermehren sollte. Denn weit über die Dörfer und Wälder, den Strom entlang und nach Polen hinein drang [4] der Morgengruß der großen deutschen Burg, und das raublustige Gesindel, welches mit den Wölfen und Füchsen bei Nacht über die preußische Heide trabte, wandte sich missvergnügt von dem Klange ab nach seinen wilden Schlupflöchern.


 

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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 07.01.2008