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Hans Holbein: Bildnis des Kaufmannes Gisze

Oskar Bätschmann und Pascal Griener

Hans Holbein

[Übers. Aus dem Engl.: Dieter Kuhaupt.]
Köln: DuMont, 1997
ISBN 3-7701-3923-2

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Abb. 240: Bildnis des Kaufmannes Gisze

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Seine Hauptauftraggeber in diesen Jahren wurden jedoch Höflinge und die deutschen Kaufleute des Stahlhofes. Diese reichen Händler, Mitglieder der Hanse, fanden in Holbein einen Landsmann von hoher Kunstfertigkeit, der ihre Sprache verstand. Daß er in der Lage war, ihre unterschiedlichen Wünsche zu erfüllen, ist evident, wenn man zwei dieser Bildnisse vergleicht: das des Georg Gisze (Abb. 240) und das des Derich Borii (Abb. 3o).Das letztere ist auffallend schlicht. Mit Zustimmung des Modells hat Holbein einen Mann dargestellt, der sich ganz ungezwungen und natürlich präsentieren will; jedes Detail ist eine Untertreibung. Der Porträtierte ist nahe an den Betrachter herangerückt und in einen offenen Raum hineingestellt, was eine direkte, lockere Kommunikation zwischen dem Kaufmann und dem Betrachter ermöglicht. Der lebensvolle Ausdruck des Gesichts, das kaum von Todesreflexionen gestreift wird, ist für die Stahlhof-Bildnisse von größter Wichtigkeit, die weit vorn höfischen Porträt und seiner komplexen Inszenierung entfernt sind. Dagegen verlangte Georg Gisze, ein stolzer Kaufmann, in seinem Bildnis das genaue Gegenteil, die verschwenderische Anhäufung von Symbolen der Macht und der Wissenschaft. Alle Regeln der Perspektive mißachtend, hat Holbein den Raum verflacht und auseinandergezogen, um möglichst viele Symbole unterzubringen und diesen Kaufmann und Nouveau-riche mit einer persönlichen lkonographie auszustatten. Briefe von Geschäftsfreunden umgeben ihn, und jeder wiederholt den Namen des mächtigen Mannes, den die Korrespondenten erreichen wollten: »Dem erszamen Jergen Gisze to Lunden in engelant« steht auf dem Schreiben in seiner Hand. Ähnlich bürokratische Metaphorik setzt Jan Gossaert meisterlich auf dem Porträt eines geradezu mit Dokumenten eingeschneiten Kaufmanns ein (Abb. 239). Holbeins Auftraggeber wollte jedoch einen anderen Aspekt seines Charakters herauskehren. An der Wand klebt ein Gedicht, das in pedantischem Griechisch und Latein verkündet: »DISTIKON. In imaginem Georgii Gysenii / Ista refert vultus, quam cernis, Imago Georgi / Sic oculos vivos, sic habet ille Genas / Anno aetatis suae XXXIII Anno Dom. 1532« - »Was du erblickst, ist Georgs Bildnis, das seine Züge vorstellt, so lebendig ist sein Auge, so sind die Wangen geformt«. Das Bildnis spricht zum Betrachter, rühmt seine Lebensechtheit. Die zweite wichtige Inschrift, links, ist Giszes Wahlspruch: »Nulla sine merore voluptas« - »Kein Vergnügen ohne Gram«, daneben eine Waage, deren Bedeutung in diesem Kontext auf der Hand liegt. Die gewollt profunde Symbolik steigert noch den prätentiösen Charakter der Szene. Der Wahlspruch ist von Gisze sogar unterschrieben, als beanspruche er Urheberrecht an der Konstruktion dieser pompösen Persona. Die Vielfalt der die Figur umringenden Symbolgegenstände lenkt das Auge fast vom eigentlichen Porträt ab. Das ursprünglich frontal konzipierte Gesicht wurde von Holbein später nach rechts gedreht, die Nase erscheint im Profil, aber die Augen sind auf der Bildebene verblieben, damit wir keines Details verlustig gehen. Die Verzerrung des Gesichts reflektiert die Verzerrung des gesamten Bildraums. Reglos, fast passiv scheint Gisze sich unserem Blick wie ein Objekt in einem Schaukasten darzubieten. Er schaut nach links, jeden direkten Blickkontakt mit dem Betrachter vermeidend. Das Gesicht in diesem Porträt wirkt beinahe nebensächlich, was nicht nur dem ikonographischen Gehalt des Bildes zuzuschreiben ist, sondern ebensosehr der meisterlichen Darstellung der Gegenstände. Bravourös gibt Holbein die Texturen wieder und setzt zur Schaffung der tonlichen Harmonie der Tafel nicht weniger als fünf Farben ein - die Erfahrungen seines Frankreichaufenthaltes, eingeflossen schon in die Lais Corinthiaca, tragen Früchte. Die gläserne Vase im Vordergrund stellt die Virtuosität des Künstlers heraus, während die delikat gemalten Nelken Giszes bevorstehende Hochzeit anzeigen.(86)

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(86) Die roten Nelken sollen offenbar auf die kommende Hochzeit des Abgebildeten hindeuten, der 1535 nachweislich eine Christine Krüger aus Danzig heiratet; Campbell 1990, S. 34; zu den Stahlhof-Porträts Thomas S. Holmann, "Holbeins’s Portraits of the Steelyard Merchants: An Investigation", in: Metropolitan Museum Journal, 14, 1980, S. 139-158; Deborah Markow, "Hans Holbein’s steelyard portraits reconsidered", in Wallraf-Richartz-Jahrbuch, 40, 1978, S.43-47; Roskill/Harbison 1987; Rowlands 1985, Nr.74 (Gisze) u. 77 (Born).


 

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© 2000   Volker J. Krüger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 13.03.2004